Die Sorge um Sicherheit ist eines der großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Gegenwart. Sicherheitsbelange werden in öffentlicher und privater, in technischer, sozioökonomischer, polizeilicher und militärischer Hinsicht diskutiert und fächern sich auf in semantische Unterscheidungen wie die von security und safety, von Sicherheit, Sicherung, Versicherung und Versicherheitlichung. Sicherheit wird immer dann zum Thema, wenn Unsicherheit wahrgenommen oder diagnostiziert wird, wobei es darauf ankommt, was überhaupt jeweils als unsicher definiert wird, wie bestimmte Bedrohungslagen konstruiert werden – und nicht zuletzt, wer diese Definitionen und Konstruktionen vornimmt. Angesichts dieser zugleich drängenden und fast unüberschaubar reichhaltigen Problemlage verwundert es nicht, dass die Security Studies ein expandierendes, florierendes Forschungsfeld darstellen, vor allem in der Politikwissenschaft. Mehr und mehr wird Sicherheit aber auch ein Thema für die historischen Kulturwissenschaften.
Die Zeit der Sicherheit
Als strategisches, planerisches Konzept ist Sicherheit wesentlich prospektiv, und zwar auf doppelte Weise. Einerseits benennt der Ausdruck ›Sicherheit‹ eine für die Zukunft herzustellende oder in die Zukunft hinein zu erhaltende Situation der Unbedrohtheit; andererseits impliziert er ein gesichertes oder zumindest zu sicherndes Zukunftswissen, eine Art von Gewissheit über die Zukunft. Konzepte und Praktiken von Sicherheit erwachsen also aus spezifischen Zukunftsbezügen. Die derzeit aktuellen Sicherheitsdoktrinen in ihrer enormen Reichweite beruhen auf Denkfiguren wie Antizipation oder preparedness, also auf mittel- und kurzfristigen Entwürfen von Zukünften, auf die man aus der Gegenwart heraus möglichst direkt zugreifen kann. Zugleich stehen sie in engem Zusammenhang mit der denkbar negativistischen Vorstellung einer »Zukunft als Katastrophe« (Eva Horn).
Der historische Einsatz dieses Diskurses lässt sich auf den Future Shock der frühen 1970er Jahre datieren. Mit diesem Schlagwort benannte der Futurologe Alvin Toffler das krisenhafte Bewusstsein einer sich extrem beschleunigenden technisch-ökonomischen Entwicklung, die nicht mehr mit Fortschrittsoptimismus, sondern mit Untergangsdrohungen konnotiert war und deshalb Überlebensstrategien not- wendig machte. Um dieselbe Zeit wurden auf unterschiedlichen wissenschaftlichen und kulturellen Feldern globale Bedrohungslagen konstatiert, einhergehend mit Rettungsstrategien, die zugleich Aufrufe zu einem radikal veränderten Zukunftshandeln im Namen ›künftiger Generationen‹ implizierten. Wirkungsreiche Zukunftsformeln wurden geprägt wie Blueprint for Survival – so der Titel einer 1972 im Umkreis der britischen Zeitschrift The Ecologist publizierten Schrift – oder Limits to Growth, die ebenfalls 1972 erschienene Club-of-Rome-Studie mit ihren richtungsweisenden Modellierungen des Zusammenhangs von Demografie und Ressourcenverbrauch. Auch das großangelegte Kultur- (und Natur)Erhaltungsprogramm der Unesco, World Heritage, wurde in jener Zeit begründet.
Der Soziologe Franz Xaver Kaufmann diagnostizierte vor diesem Hintergrund bereits 1970 in einer grundlegenden Studie über Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem einen »paradoxen Zukunftsbezug«. Die Etablierung von Sicherheit bedeute gleichsam eine Stillstellung der Zeit durch die Verlängerung der Gegenwart in eine abgesicherte Zukunft hinein. So entstehe ein Spannungsverhältnis zur eigentlichen Zeitlichkeit der Zukunft, die Kaufmann durch unabsehbare Offenheit bestimmt sah. Dieser Befund verweist auf die maßgeblich von Reinhart Koselleck seit den späten sechziger Jahren formulierte These, wonach sich der entscheidende Wandel von Zukunftsmodellierungen, die im modernen Sinn emphatische Futurisierung, in der ›Sattelzeit‹ zwischen 1750 und 1850 vollzogen habe. Nach Koselleck bildete sich in jener Phase durch die zunehmende Differenz zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont ein neues Zeit- und Zukunftsbewusstsein aus. Die ältere, ›vormoderne‹ Korrespondenz von Vergangenheit und Zukunft – und damit die Möglichkeit der Überführung früherer Erfahrungen in kommende Erwartungen – wurde außer Kraft gesetzt, und Zukunft wandelte sich zu einem offenen, im starken Sinne verzeitlichten Raum des Unbekannten. [...]