Die Begriffe Anfang und Ende werden nicht immer im zeitlichen Sinne verwendet. So gibt es zum Beispiel einen Ort, der »Land’s End« genannt wird, und in Politik und Medien ist manchmal vom »unteren Ende der Gesellschaft« die Rede. Sprachgebräuche dieser Art sind soziologisch gesehen zwar höchst interessant, geben sie doch Hinweise darauf, dass und wie Menschen ihre physisch-geographische Lebenswelt und soziale Unterschiede als Abfolge und damit quasi- zeitlich codieren. In diesem Essay sollen die Begriffe Anfang und Ende jedoch nur in ihrer zeitlichen Konnotation im Kontext der Methodologie und Theorie der Sozialwissenschaften diskutiert werden. Anfang und Ende werden hier also bezogen auf einen zeitlichen Abschnitt (einen Prozess, einen Vorgang, eine Epoche etc.) verstanden.
Der Faktor Zeit
Mehr oder weniger explizit in zeitlichen Kategorien zu denken und hierauf Theorien, Methoden und empirische Vorgehensweisen aufzubauen, ist vermutlich Kennzeichen einer jeden Wissenschaft. Naturwissenschaftlichen Experimenten, die Gesetzmäßigkeiten offenbaren und damit zeitlose Erkenntnisse produzieren sollen, liegt das Denken in Kategorien wie Anfang, Abfolge und Ende zugrunde: Jedes Experiment hat einen klaren Aufbau und Ablauf und damit einen Anfang und ein Ende.
Zu den Disziplinen in der Familie der Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften, deren Forschung, Theorien und Methoden explizit um Konzeptionen von Zeit herum organisiert sind, gehören vor allem die Geschichtswissenschaften und die archäologischen Disziplinen. Letztere verfügen inzwischen über ein umfangreiches, historisch gewachsenes Arsenal unterschiedlicher Methoden der Datierung von Funden und Befunden und der Erstellung von Chronologien.
In den Sozialwissenschaften stellt die Datierung von Ereignissen so gut wie kein Problem dar, zumal die betrachteten Phänomene entweder in der jüngsten bis jüngeren Vergangenheit liegen und historisch gut dokumentiert sind oder zeitgleich mit dem empirischen Forschungsprozess sind (Dies gilt etwa für die Umfrageforschung und die ethnographische Feldforschung). Generell spielen Konzepte wie Anfang, Ende, Verlauf, Abfolge, Dauer etc. in den Sozialwissenschaften eher eine untergeordnete, oftmals implizite Rolle. Zeit, zeitliche Abschnitte oder Zeitpunkte stehen dann explizit im Vordergrund, wenn es darum geht, Erhebungszeitpunkte einer Studie zu benennen, Zeitreihenanalysen durchzuführen oder Ergebnisse von Beobachtungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu vergleichen. Jedoch gehört es nicht unbedingt zum sozialwissenschaftlichen Standardrepertoire, den Faktor Zeit ins Zentrum der theoretischen Konzeption zu stellen, wie es etwa das narrativistisch-syntaktische Erklärungsprogramm tut, das besonders vom amerikanischen Soziologen Andrew Abbott expliziert wurde. […]