Er ist einer der weniger gelungenen Artikel, die in der Satirezeitschrift Der Postillon veröffentlicht wurden: »Erfinder des Geschlechtsverkehrs mit 104 Jahren gestorben«. Besagter Erfinder, der Italiener Fabio Sivori, habe zunächst nur drei Stellungen entwickelt. Dank der Mithilfe begeisterter Tüftler auf der ganzen Welt wurde das Repertoire jedoch nach und nach »zur heute bekannten Vielfalt ausgebaut.« Man muss schon promovierter Evolutionsbiologe sein, um die Frage nach der Erfindung von Sex an sich sinnvoll zu finden. Eingängiger ist da die Frage nach der Erweiterung des Repertoires im Laufe der Zeit.
Unter dem Pseudonym Marco Vidal geht ein französischer Philosoph mit dem Buch Fist (2015) der These nach, die einzige Erfindung, die das 20. Jahrhundert in dieser Hinsicht vorzuweisen habe, sei der Fistfuck. Fest steht, dass auf keiner griechischen Vase ein Anus mit der ganzen Faust penetriert wird. Erstmals geäußert haben soll diese Beobachtung – das klingt fast zu gut um wahr zu sein – Michel Foucault, der nicht zuletzt dank seiner Schriften zur Geschichte der Sexualität Berühmtheit erlangt hat. Die ersten Orte, die sich ausdrücklich dem Fisten widmeten, waren in den 1970er Jahren die Schwulenclubs von San Francisco. Von dort aus trat das Fisten seinen Siegeszug auch unter heterosexuellen Abenteurern an. Der Anus ist schließlich nicht umsonst die erogene Zone, über die jeder Mensch gleich welchen Geschlechtes verfügt – und auch die Penetration mit der Faust kann geschlechtsunabhängig erfolgen. Um genau zu sein, braucht es noch nicht einmal einen Partner. Denn sich selbst zu fisten ist zwar nicht unbedingt bequem, aber doch anatomisch möglich.
Der spanische Gendertheoretiker Paul B. Preciado nimmt diese Tatsache zum Anlass, den Anus als »universales kontrasexuelles Zentrum« in den Mittelpunkt einer Theorie der Sexualität zu stellen, die geschlechtsspezifische Unterschiede hinter sich lässt. In seinem Kontrasexuellen Manifest (2003), das er damals noch unter dem Vornamen Beatriz veröffentlichte, tritt Preciado außerdem für eine vertragliche Auffassung von Sex ein (sie orientiert sich damit an der SM-Kultur, die das Spiel der Überschreitungen durch zuvor festgelegte Grenzen regelt), losgelöst von den Phantasmen der Spontaneität und Romantik. Wer was mit wem macht, muss von den Beteiligten eben immer neu ausgehandelt werden. Und wo bleibt da die Liebe, könnte man fragen? […]