Wenn uns »das Ende« als Katastrophenszenario vor Augen steht, dann gehen wir häufig von einem Ende menschlicher Lebensformen aus. Im Zeitalter von Onko-Mäusen, Klonschafen, unbemannten Drohnen und Prothesen jeglicher Art rückt die italienisch-australische Philosophin und Feministin Rosi Braidotti den Menschen hingegen aus dem Zentrum alles Lebendigen, denkt ihn aber nicht als ausgestorbene, überflüssige Spezies, sondern als Teil einer großen, lebendigen Materie, der »Zoé«: Eine sich selbst organisierende Entität, die intelligent ist und vielfältig miteinander verbunden. Der Posthumanismus nach Braidotti erlaubt, alles Lebendige als miteinander in Wechselwirkung stehende Immanenzen zu betrachten, die sich permanent bewegen und verändern. So sind Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur obsolet und Unterschiede zwischen Mensch und Tier, Mensch und Maschine oder zwischen verschiedenen Menschen nie festgeschrieben sondern an spezifische Orte und ihre jeweiligen Situationen gebunden und erlauben, das Subjekt in multiplen Differenzen und Vielfältigkeiten zu betrachten.
Braidotti knüpft mit der Beschreibung einer posthumanen Welt an die monistische Philosophie Baruch de Spinozas, und die anti-dualistischen Konzepte von Gilles Deleuze und Félix Guattari an. Aber auch feministische Theoretikerinnen wie Luce Irigaray und Donna Haraway sind Referenz der Programmschrift für »neue soziale, ethische und diskursive Formen der Subjektbildung«, um »uns selbst anders zu denken«. Mit dem Begriff des Posthumanen zielt Braidotti auf eine umfassende Transformation der Wissenschaft, Bildung und der sozialen Bewegungen ab und zeigt somit eine Alternative zum gegenwärtigen, technologisierten Biokapitalismus auf. Es gilt, so Braidotti, eine komplexe, mannigfaltige Kartographie der gegenwärtigen Welt anzulegen und sich dabei »ethischer Verantwortlichkeit, Transdisziplinarität, Erinnerungsvermögen, Vorstellungskraft und Verfremdung« verpflichtet zu fühlen. Ein inspirierender Aufruf zu visionärem Denken.