Anfänge sind paradox. Henne oder Ei? Unsere Erkenntnis der Wirklichkeit ist zirkulär. Douglas Hofstadter veranschaulichte diese Selbstreferenz unseres Denkens, auf deren Grundlage der Mathematiker Kurt Gödel die Unvollständigkeit jeder formalen Logik bewiesen hatte, an Eschers Zeichnungen und Bachs Fugen. »Die Kunst der Fuge« liegt in Variationen eines musikalischen Themas, deren verschiedenste Formen sich immer wieder aufeinander beziehen. Die biologische Evolution arbeitet ähnlich im ewigen Rhythmus der Variation, Selektion und (Re)Stabilisierung von Zellverbindungen. Anfänge und Enden werden zu Übergängen eines fortlaufenden Entwicklungsprozesses. Der Soziologe Niklas Luhmann überträgt diese Gedanken endloser evolutionärer Selbstbezüglichkeit auf die soziale Entwicklung menschlichen Zusammenlebens: die Gesellschaft der Gesellschaft.
Luhmann legt in seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Buch eine Gesamtschau seines systemtheoretischen Vermächtnisses nieder. Gesellschaft ist Kommunikation. Deren Formen sind das Resultat sozialer Evolution. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch funktionale Differenzierung ihrer Kommunikationsformen aus. Politik, Wirtschaft, Recht, Bildung, etc. können so als eigenständige soziale Systeme der Kommunikation betrachtet werden. Auch gesellschaftliche Theorien sind soziale Kommunikation und beobachten sich so selber. Hier liegt das oft verkannte kritische oder sogar utopische Potential der Systemtheorie. Die Antworten klassischer liberaler Theorie reichen für viele strukturellen Problemen des Anthropozäns nicht aus. Die kommunikative Reaktion auf weltweit zunehmende autoritäre Tendenzen muss in alternativen Gesellschaftsentwürfen liegen. Die soziale Kunst der Fuge muss theoretisch befeuert werden.