In seinem hervorragenden Buch »Pop« stellt der Musikkritiker Jens Balzer die These auf, dass die Gitarrenriffs der Bands um die Strokes und die Libertines vom Anfang des vergangenen Jahrzehnts eine Art letztes Aufbäumen der testosterongesteuerten Rummsmusik war, die vor allem in den Neunziger Jahren mal als Grunge, mal als Alternative, vor allem aber als Gitarrenmusik populär war. Balzer geht noch viel weiter und schlägt einen Bogen selbst zu Helene Fischers Eklektizismus, aber das würde hier zu weit gehen. Viel interessanter ist die Frage, wann denn diese Zeit der Gitarrenmusik mit ordentlich Rumms begann, die inzwischen ja sogar schon wieder bei den jungen Leuten gespielt wird, allerdings natürlich ironisch gebrochen und so.
Die Kenner werden natürlich alles Mögliche dagegen einwenden, aber ganz subjektiv und auch ziemlich objektiv lässt sich der Beginn auf den Anfang des grandiosen Nirvana-Albums »Nevermind« und genauer auf die ersten zwanzig Sekunden eingrenzen. Das Riff von Kurt Cobains Gitarre ist simpel, erst noch unverzerrt und wirkt herrlich dahingespielt. Aber dann kommt die Bassdrum von unter den Füßen und diese tiefe, wuchtige Snare aus der Mitte des Raumes. Vier synkopierte Hiebe auf die Snare und dann Bämm. Diese paar Sekunden gehören wahrscheinlich wie nur wenige Riffs zu den meistnachgespielten Sekunden der Musikgeschichte, weil alle SchlagzeugerInnen, die in den Neunziger Jahren in Bands spielten, es selbst so gern mal spielen wollten oder weil ihre GitarristInnen sie dazu zwangen. Mit Nevermind begann sich ein Phänomen in ganz Nordamerika und Europa auszubreiten, das letztlich genau diese Rummsmusik von jungen, weißen, desorientierten und meistens männlichen Teenies war. Die allermeisten würden vermutlich Kurt Cobain als Zünder nennen, aber die These muss erst einmal widerlegt werden: Ohne Dave Grohls unfassbar richtiges Break wäre Smells Like Teen Spirit nie zu dem Hit geworden, der es war. Vermutlich gäbe es dann auch nicht das Phänomen Helene Fischer.