Tim Caspar Boehme
Schicksal Gott Fiktion
Intelligente Kompositionen: Die Bibel
Zugegeben, ein cooles Kultbuch sieht anders aus. Doch ein besonderes Buch ist diese »Bibliothek« allemal. Wenn sich gleich zwei Weltreligionen auf sie berufen, muss an dem Buch etwas dran sein. Oft wird dabei vernachlässigt, was die Bibel in erster Linie ist: ein Buch voller Geschichten, zum Teil sehr schönen, zum Teil zensurverdächtig grausamen, doch immer eindeutig als »Literatur« zu identifizieren. Die Verfasser mögen unbekannt sein, und die theologische Literarkritik kann sich noch so sehr darum bemühen, ihre Textgestalt in unterschiedliche Segmente aufzuteilen, die aus verschiedenen Quellen stammen: Die Bibel bleibt ein Buch, das sich als solches lesen lässt.
So trivial diese Aussage ist, könnte sie bei dem kulturellen Ballast, der sich wie eine dicke Staubschicht über die »Heilige Schrift« gelegt hat, leicht in Vergessenheit geraten. Schon das Wort »Bibel« löst heutzutage häufig Reflexe aus wie die Formeln vom »christlichen Fundamentalismus« oder »Wiedererstarken der Religion«.
Die schlichte Empfehlung, die Bibel einfach mal wie ein »gutes Buch« zur Hand zu nehmen und auf ihre literarischen Qualitäten hin zu lesen, mag da etwas überraschen. Dass dies sehr wohl und sehr gut möglich ist, haben Autoren wie Robert Alter (The Art of Biblical Narrative) eindrucksvoll demonstriert. Hier wird der Bibeltext frei von jeglichem Glaubensbekenntnis auf seine literarischen Strategien hin untersucht. Diese Vorgehensweise schärft den Blick für die intelligente Komposition vieler Geschichten, die über der Schlichtheit der Sprache leicht übersehen werden kann.
Und dass die literarische Analyse des Bibeltexts auch neue Verbindungen zur Religion aufzeigen kann, führt Hans-Peter Schmidt (Schicksal Gott Fiktion) mit dem Gedanken vor, dass die Religion aus der literarischen Fiktion erst entstanden ist. Gleichgültig, ob einem nach Glaubensbekenntnis zumute ist oder nicht – die Bibel und ihre Figuren erhalten so ein eigenes Leben, das auf keinerlei Zustimmung angewiesen ist und das selbst Atheisten und Agnostiker nicht bestreiten können. Denn Gott ist genauso wenig tot wie Odysseus, Hiob oder der kleine Nick.
Robert Alter, The Art of Biblical Narrative, Basic Books Inc. 1983, 195 Seiten, 13,95 Euro
Hans-Peter Schmidt, Schicksal Gott Fiktion. Die Bibel als literarisches Meisterwerk, Schöningh 2005, 167 Seiten, 29,00 Euro