Bertram Keller
Gödliche Wahrheit
Die Logik des Glaubens: Kurt Gödels Gottesbeweis
G(x) ≡ (ф) [P(ф) ⊃ф(x)]. Das ist Gott. Im Nachlass des Mathematikers Kurt Gödel fanden sich zwei handschriftliche Seiten mit einem auf 1970 datierten Beweis der logischen Existenz Gottes. Versprachlicht steht dort etwa Folgendes: Definition 1: Etwas ist göttlich, wenn es alle positiven Eigenschaften enthält/ Axiom 1: Jede Eigenschaft ist entweder positiv oder negativ/ Axiom 2: Was eine positive Eigenschaft enthält, ist selber positiv/ Axiom 3: Göttlichkeit ist eine positive Eigenschaft/ Satz 1: Eine positive Eigenschaft ist logisch widerspruchsfrei// = Ein göttliches Wesen ist möglich// Definition 2: Etwas ist genau dann eine wesentliche Eigenschaft von x, wenn alle weiteren Eigenschaften von x daraus notwendig folgen/ Axiom 4: Positive Eigenschaften sind notwendig positiv/ Satz 2: Göttlichkeit ist eine wesentliche Eigenschaft// = Es gibt höchstens ein göttliches Wesen// Definition 3: Etwas existiert notwendig, wenn alle seine wesentlichen Eigenschaften notwendig sind/ Axiom 5: Notwendige Existenz ist eine positive Eigenschaft/ Satz 3: Wenn die Existenz eines göttlichen Wesens möglich ist, dann ist sie notwendig// = Es gibt notwendig genau ein göttliches Wesen.
Alle Zweifel sind beseitigt. Logisch existiert das perfekte Wesen, genannt »Gott«. Und? 40 Jahre zuvor hatte Gödel bewiesen, dass sich die Widerspruchsfreiheit eines reichhaltigen Axiomensystems nicht aus diesem selbst ableiten lässt. Auch perfekte Systeme sind notwendig unvollständig. Wo die Welt endet, beginnt der Glaube. Gödels beide Beweise zusammen zeigen auf wundersame Weise, wie sich jede Welt ihre absoluten Heiligkeiten erschafft. Wir dürfen hoffen. Selbst Logik kennt Transzendenz. Wenn es möglich ist, zu glauben, ist es auch notwendig. Sei es an den Papst, die Widerspruchsfreiheit oder die Evolution. Wenn Göttliches möglich ist, existiert es notwendig: G(x) ⊃N(∃y)G(y).
Kurt Gödel, Ontological Proof (1970), in: Collected Works, Vol. III, Oxford University Press 1995, S. 403; Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 38 (1931), S. 173–198.