Ralph Obermauer
Ihr braucht mich
Wurzel im Wunsch: Gott bei Freud und Newman
Gott überlebt also, trotz allem. Zwei große Skeptiker, 1927 und 1972, schütteln den Kopf. Der eine mit kühl rationaler Miene, warum denn glauben? Wenn die Wurzel im Wunsch so offensichtlich ist, die Glaubensinhalte so katastrophal unplausibel. Der andere stellt melancholisch die Frage der Theodizee, aus der Position des spottenden Gottes selbst: I burn down your cities, how blind you must be, I take away your children and you say how blessed are we! Y’all must be crazy to put your faith in me! Freud versucht die Erklärung, geht zurück auf infantile Vatersehnsucht, menschliche Hilflosigkeit, Trostbedürfnis, anthropomorphe Ordnungsstiftung, Entschädigung für Triebverzicht. Vielleicht nicht genug nach heutiger Weisheit und belastet neben den amüsant-mythischen Seltsamkeiten der »Urhorde« auch mit den Essentialismen der freudianischen Triebnatur. Dennoch: Man gestatte sich, noch einmal auf die vergnügliche Klarheit und den stilistischen Glanz der Freudschen Religionskritik zurückzugreifen. Vergisst man die einfachen Einsichten doch nur allzu oft, gerät auf Abwege statt sie weiter auszuarbeiten. Lässt etwa fahrlässig über drei Theoriegenerationen die Vernunftkritik zum Denkreflex der Rationalitätsverneinung degenerieren und findet im Übersprungs-Umkehrschluss den Sprung in den Glauben plötzlich wieder plausibel. Als ob jemals die Ratio der schlimmste Feind gewesen wäre und nicht die Gier, die Brutalität, die Gleichgültigkeit, der Kollektivirrsinn. Wahre Vernunft darf niemals unterliegen! »Unser Gott Logos« traut sich Freud noch zu sagen und entkräftet in wenigen Zügen die Analogie von der »Wissenschaft als der neuen Religion«. Er erwartet noch den Untergang der Religion mit Fortschreiten der Aufklärung. Nicht nur dieser Optimismus stimmt nostalgisch. Eine sprachliche Schönheit ohnehin, die Schrift. Sie reicht allerdings in der affektiven Sättigung ihrer Einsichten kaum an den Schlussakkord von Randy Newmans großartiger Ballade »God’s Song« heran, wenn der gemeine Gott die Erklärung für sein Überleben gibt, der Freudschen ganz ähnlich: That’s why I love mankind, You really need me!
Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse. Die Zukunft einer Illusion, Fischer (Tb.), 166 Seiten, 8,90 Euro
Randy Newman, »God’s Song« auf »Sail Away«,Wb (Warner)