Jan Engelmann
Heiliger Rauch
Die wollen nur spielen: Iron Maidens Offenbarungseide
Schon früh ahnte ich, dass Iron Maiden ganze Bibliotheken unnötig machen könnte. Das schiere Ausmaß der historischen Querverweise, epischen Konquistadorenstücke und blauen Nachtpoeme, verbunden mit einer komplexen Bildpolitik, die von ägyptischen Hiroglyphen über barocke Todes-Allegorien bis hin zu futuristischen Stadtraumszenarien so ziemlich jedes Fitzelchen des hiesigen Kulturkanons umfasste, ließ keinen anderen Schluss zu. Im Goldenen Zeitalter von Iron Maiden galten zunächst die üblichen Reflexe. Das kanonische Album »Number of the Beast« (1982) rief Amerikas verlässliche Moral Majority auf den Plan, weil das untote Bandmaskottchen Eddie auf dem Cover mit einem depperten Marionetten-Teufel hantierte. Acht Jahre später rechneten sie in dem Song »Holy Smoke« gallig mit der Scheinheiligkeit amerikanischer TV-Prediger ab und ließen durch den Heiland ausrichten: »Believe in me – Send no money / I died on the cross and that ain’t funny.« Nachdem die christliche Idee der Wiederauferstehung schon das Pfingstwunder »Live After Death« (1985) beeinflusst hatte, wurden in »Heaven Can Wait« vom Album »Somewhere in Time« (1986) medizinische Nahtod-Erfahrungen behandelt. Durch Al-Qaida auf die Agenda gehoben, nahmen Themenkreise wie »Glaubenskrieg«, »Todessehnsucht« oder »Erlösungswille« in den letzten Studioalben »Dance Of Death« (2003) und »A Matter Of Life And Death« (2006) einen breiten Raum ein. In »No More Lies« flirtet Steve Harris mit der Idee eines letzten Abendmahls, um Jesus G8-mäßig die globalen Prioritäten sortieren zu lassen. Dass die weltlichen Herrscher ihr Weltbeglückungsprogramm falsch interpretieren, daran lässt wiederum »For The Greater Good Of God« keinen Zweifel: »It brings upon us more of famine, death and war / You know religion has a lot to answer for.« Solange aufrechte Briten mit zu vielen Haaren und Gitarren zumindest die richtigen Fragen stellen, wollen wir ihnen Pathos und Gottesfurcht weiter durchgehen lassen.
The History Of Iron Maiden, Part 1: The Early Days (2 DVDs), EMI, 310 Min.
Mike Wall, Run To The Hills. Die offizielle Biographie von Iron Maiden, Berlin 2005