Miriam Stein
Iglesia Maradoniana
Die Hand Gottes: D10S
Am 22. Juni 1986 wurde das ausverkaufte Aztekenstadion zu Mexiko Stadt Schauplatz eines transzendenten Ereignisses. Argentiniens Nr. 10 tanzte mit dem Ball zwischen drei Engländern hinaus auf die rechte Seite und setzte zu dem berühmtesten aller Slalomläufe im Fußball an. Von dort waren es noch 60 Meter bis zum gegnerischen Tor, doch die verteidigende englische Elf samt Torwart scheiterte. Es blieb nur der Blick ins Netz, in das er den Ball zum 2-0 am Ende seines furiosen Irrweges gespitzelt hatte. Ein Jahrhunderttor, voller Schönheit, geboren aus Inspiration, Instinkt und entrückter Fussballkunst. Zudem ein Treffer der Demütigung für den Kriegsgegner England. Von Gott geschaffen, riefen die einen und Argentinien erwiderte: Von Gott erzielt. Später erfuhren wir, der Allmächtige hatte schon vier Minuten zuvor eingegriffen. Per Hand, zum 1-0. »Die Hand Gottes« ging in die Geschichte ein, himmlische Zweideutigkeit erlangte es erst durch das zweite Tor. Das Jahr 26 n. D., die 54. Spielminute in einem WM-Viertelfinalspiel, gebar einen Gott.
1998 beschlossen die Argentinier Hernán Amez und Héctor Campomar Weihnachten neu zu datieren, auf den 30. Oktober, den Geburtstag Maradonas im Jahre 1960. Fortan war Anno 38 n. D. das Geburtsjahr der Iglesia Maradoniana, einer spinnerten religiösen Idee, ein Pass in den freien Raum, aufgenommen bis heute von über 20.000 Gläubigen. Aus El Pibe wurde Diego, wurde Gott, aus Dios wurde D10S. Wie im Spiel war D10S auch als Gott von Einzigartigkeit. Welches andere göttliche Wesen bat jemals um Vergebung für die iridischen Kollateralschäden seines Schaffens, seinen unehelichen Sohn, die kaputte Leber oder Drogenkonsum? Keiner hätte jemals seine eigene Unvollkommenheit öffentlich angeprangert, um Nachsicht gebeten und in Sachen Allgemeingültigkeit ein Auge zugedrückt. Mit der Allmacht verhält es sich anders. D10S ist der Einzige, der glaubwürdig versichern kann, kein Tor erschaffen zu können, das er nicht zu schießen imstande ist. Dieses Tor gibt es nicht, er hat es schon geschossen. Wer es nicht glaubt, lese das 10. Gebot der Iglesia Maradoniana: No ser cabezade termo y que no se te escape la tortuga. Denkt darüber nach, ihr Ungläubigen. Amen. Verzeihung: Diego.