Martin Mosebach ist der große Unzeitgemäße in der deutschen Literatur. Er pflegt einen Stil von geradezu altmodischer Eleganz, und seine Geschichten führen weit fort aus unserer lärmenden Gegenwart: tief zurück in die Historie, in exotische, vormoderne Welten. In seinem Roman »Das Beben« stellt er dem hektischen Treiben der Finanzmetropole Frankfurt die halb versunkene, traditionsgesättigte Pracht eines ehemaligen indischen Königreichs entgegen. Die Hauptfigur, die es vom Main dorthin verschlägt, ist ein junger Hotelarchitekt, spezialisiert auf den Umbau historischer Bauten zu modernen Luxusherbergen. Wie fast alle Helden in den Büchern Martin Mosebachs leidet auch er an seiner geschichtslosen Gegenwart, in der der Markt zur alles beherrschenden Größe geworden ist. »Hotellisierung der Welt« nennt der junge Architekt das: Alles wird Ware, Kulisse, Feriengarnierung. In Indien, wo ihn ein Auftrag und die Flucht aus enttäuschter Liebe hinführen, erliegt der Architekt allmählich der Faszination der archaischen Gegenwelt des Königs von Sanchor. Obwohl sein Reich längst untergegangen ist, pocht dieser in seinem antidemokratischen Anachronismus fast rührende Herrscher trotzig auf die alten Rituale der Monarchie. Es weht ein Hauch von Ewigkeit im staubigen, sterbenden Sanchor. Und auch die Erfahrung des Heiligen, die die entzauberte Moderne nach Mosebachs Diagnose längst hinter sich gelassen hat, gibt es hier noch. Mosebach findet dafür das sinnfällige Bild von der indischen heiligen Kuh, einem Wesen, das sich in die Quere stellt, das den Alltag behindert und das immer da ist. »Ich sehe die heilige Kuh auf einer vielbefahrenen Autobahn zwischen Köln und Frankfurt liegen und eine Bild-Zeitung auffressen. Ich sehe unsere beliebtesten und deshalb hassenswertesten Fernsehgesprächsrunden, durch die gemächlich die heilige Kuh schreitet, ein Manuskript des Moderators kauend und eine halbe Stunde lang vor der Linse der Kamera verweilend. (...) Nur sehr wenig in unserer Welt würde der Gegenwart der heiligen Kuh standhalten.«
Martin Mosebach macht keinen Hehl aus seinem antimodernen Affekt. In seiner Kritik an der vermeintlich hässlichen, selbstvergessenen und fragmentierten Gegenwart und in seiner Sehnsucht nach dem alten Glanz vormoderner Monarchiegebilde ist er ein Reaktionär. Aber auch, wenn man seine Zeitdiagnose nicht teilt, wird man diesen trotz aller Schwärzen heiteren, hochmusikalischen Roman mit einigem Vergnügen lesen. Das liegt vor allem an Mosebachs großartiger Gabe der Ironie.
Martin Mosebach: Das Beben, Hanser Verlag, München 2005; 411 S.