Schon mal in einem so genannten »Generationen-Buch« geblättert? Das Schema geht zumeist in etwa so: Als Kind hat man mit Barbie oder Playmobil gespielt, in der Provinz Abitur gemacht und ist zum Studieren in die Großstadt gegangen. Dort hat man inzwischen einen Job in der Medienbranche. Man lebt wahlweise als Single oder in einer heterosexuellen Beziehung in einem hippen Szenebezirk. Als Frau zerbricht man am vermeintlich gescheiterten Feminismus und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, Kind und Karriere zu vereinbaren. Oder aber man verzweifelt an der mit beruflichem Erfolg notwendigerweise verbundenen glücklosen Liebe, wie es einem neurotische Anwältinnen in Fernsehserien vorleben. Als Mann will man nicht so recht erwachsen werden und trägt deshalb immer noch gerne Trainingsjacken und geht in Szenekneipen. Protest ist die eigene Sache nicht, man mag es lieber unpolitisch. Stattdessen kümmert man sich um die Planung der nächsten Fernreise. Oder man heiratet. Das empfindet man dann als Akt der Rebellion.
Das Fatale an diesen Texten – neben all ihren inhaltlichen Plattheiten – liegt darin, dass sie sich als Sachbücher ausgeben. Schon dadurch erheben sie einen gewissen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, darauf, für eine »Generation« oder etwa »die« Frauen um die 30 zu sprechen, als deren Repräsentanten sich die Verfasser autorisiert fühlen. Die Tatsache, dass sie zu Bestsellern wurden, tat ihr übriges, um diese Autorität abzusichern. Dementsprechend wurden die Texte gelesen und rezipiert. In der Analyse mag beispielsweise das weinerliche Frauenbild, das die ehemalige PRINZ-Redakteurin Katja Kullmann in »Generation Ally« entwirft, für ihr Milieu durchaus zutreffend sein. Die Crux liegt aber darin, dass ihre subjektiven Einblicke in die eigene Peer Group, geadelt durch den Deutschen Sachbuchpreis 2003, nun für ein akzeptables Rollenmodell gehalten werden. Analog dazu zieht man Florian Illies’ »Generation Golf« mittlerweile ganz selbstverständlich für soziologische und politikwissenschaftliche Untersuchungen heran. Und der Spiegel bezeichnete die depolitisierte und status-quo-bejahende Milieubeschreibung »Global Players« von FAZAutor Sascha Lehnartz als »spannende Kulturgeschichte und selbstironische Zeitgeistanalyse«. Eine Kostprobe: »Möglicherweise war das Dritte Reich Folge einer massiven Produkttäuschung«.
In diesen Texten wird die auf einem konservativen Weltbild basierende persönliche Befindlichkeit hinter verallgemeinernden Aussagen versteckt. Diese autoritäre Sprechgeste des »Wir«-Sagens ist von dieser Position aus schon im Ansatz reaktionär. Geschickt verknüpfen die Generationalisten biografische Selbstinszenierung mit vorgeblicher Zeitdiagnose. Die Beschreibung von eigenem Milieu und Bekanntenkreis wird zur Analyse stilisiert und abgesichert. Den eigenen Lebensstil will man nicht hinterfragen. Vielmehr versucht man durch Lächerlichmachen alternativer Lebensentwürfe und emanzipatorischer Denkansätze von der eigenen Position abweichende Weltanschauungen und Erfahrungen – durch die ja auch die eigene bisherige Lebensweise zur Disposition gestellt wird – zu eliminieren.
Das hohe Maß an Selbstbezogenheit, das diese Texte charakterisiert, führt dabei zu den immergleichen Beschreibungs- und Bewertungsmustern. Indem die Verfasser größtenteils den Redaktionen der Feuilletons und Lifestylemagazine entstammen, erscheinen sie selbst als die Kultur, über die sie schreiben. Jegliche Außenreferenz geht so verloren und der Diskurs dreht sich in einer Endlosspirale medialer Rückkoppelung. Politische Handlungsfähigkeit wird von vornherein ausgeschlossen, man bleibt lieber bequem. Gegen die Globalisierung, suggerieren die Texte, sei man ebenso machtlos wie gegen bestehende Geschlechterverhältnisse. »Protest wäre nötig [...] aber das ist nicht unser Gebiet«, bringt es Kullmann auf den Punkt.
Nur Mut zum Bruch!
Es wäre zu fragen, warum und warum gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein solches Bedürfnis nach Kollektividentität und dem Wiederaufleben traditioneller Ordnungen und Werte aufscheint. Welche persönlichen Sicherheitsbedürfnisse, welche politischen Strategien stehen hinter der Konstruktion eines »Wir-Gefühls«? Wer oder was regelt diesen Diskurs, der einen bürgerlichen Backlash als salonfähig und erstrebenswert verkauft und gleichzeitig linke Positionen als lächerlich und antiquiert darstellt? Warum gibt es so wenig Widerstand gegen die Hegemonie dieser Positionen? Warum artikulieren sich bislang nur wenige Stimmen, die das konformistische »Wir« in eine neue Pluralität der Sichtweisen auflösen?
Eine kritische und konsequente Intervention gegen diese Vereinnahmung und Depolitisierung auf derselben (nämlich publizistischen) Ebene könnte essayistisch erfolgen. Eine essayistische Denkhaltung impliziert den Mut, miteinander zu debattieren und damit auch zu polarisieren. Zugleich ist ihr eine kritische Selbstreflexion mit eingeschrieben. Das essayistische Ich stellt den eigenen Anspruch auf die Definitions-, Repräsentations- und Handlungsmacht zur Disposition. Wie Adorno in seiner Abhandlung über den Essay schrieb, denkt der Essay »in Brüchen, so wie die Realität brüchig ist, und findet seine Einheit durch die Brüche hindurch, nicht indem er sie glättet.«
Besonders im angloamerikanischen Kontext haben Essays eine lange und ausgiebig gepflegte Tradition. In Zeitschriften wie dem New Yorker oder Observer etwa wird dem Genre großer Raum gegeben. Die Texte wirken oft weit in die Gesellschaft hinein. Traditionell fanden essayistische Interventionen meist an den Schnittstellen gesellschaftlicher Transformationsprozesse statt. Insofern könnte man jetzt eigentlich eine Rückbesinnung auf die Form zu erwarten. Doch eine vergleichbare Essaytradition, der zufolge Debatten öffentlich und essayistisch ausgetragen werden, sucht man hier – von wenigen etablierten Ausnahmen wie Enzensberger oder Habermas einmal abgesehen – nahezu vergeblich. Die Generationalisten haben an den wenigen geeigneten Publikationsorten schleichend das Feld erobert. So spielen sich in den Feuilletons und Kulturzeitschriften die immergleichen Protagonisten die Bälle zu.
Verstanden als implizites Plädoyer für eine essayistische Denkhaltung, bedeutet die Wahl dieses Genres jedoch zugleich eine Absage an jegliche Form vermeintlicher Objektivität. In einem Essay spricht ein Ich, ohne sich hinter der Autorität eines »Wir« (einer Gruppe, einer Denkschule, einem wissenschaftlichen Diskurs etc.) zu verstecken. Der Essay kann somit auch Subjektpositionen, die von der weißen, westdeutsch-männlichen Mittelstandsnorm abweichen, eine Plattform bieten, sich öffentlich zu äußern und in dominierende Diskurse zu intervenieren. So könnten jene bewussten Ausschlüsse offengelegt werden, die ein lautstarkes »Wir« geschickt hinter seiner Fassade verbirgt.
Einen Essay zu schreiben – oder besser: essayistisch zu denken und zu schreiben – heißt diesem Verständnis nach, hegemonialen Autoritäten, bestehenden Hierarchien sowie dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit implizit eine Absage zu erteilen. Ein Rückbesinnen auf eine konsequent eingehaltene essayistische Haltung wäre demnach ein wirksame Strategie gegen die wachsenden Vereinnahmungstendenzen. Sie könnte dazu beitragen, dass die »Thirtysomethings« in dieser Gesellschaft vielfältiger, pluralistischer, aufregender und aufgeregter wahrgenommen würden, als es sich ihre selbsternannten Fürsprecher bislang haben träumen lassen.