Du musst dich schon ein bisschen in die Gruppe integrieren, Aram!« Diese Anrufung aus meiner sozial-liberal verfassten Kindheit klingt mir manchmal noch in den Ohren. Doch aus der privaten Reminiszenz ist inzwischen eine ernst zu nehmende Aufforderung an alle geworden. »Integration« hat die Kleingruppe verlassen und wirkt im politischen Makroraum. Integration wird inflationär im Mund geführt, längst nicht nur von Innere Sicherheit-Sheriffs, sondern auch von Arbeitsmarktpolitikern, Wirtschaftsexperten und Gesellschaftskritikern. Sie ist die rhetorische Allzweckwaffe, wenn gesellschaftliche Auflösungserscheinungen, milieubedingte Kriminalitätsraten und bedrohliche Devianzen aller Art therapiert werden sollen. Nicht mehr nur muslimische Migranten sind Adressaten, auch so genannte »bildungsferne Schichten« haben sich dem Integrationsappell zu fügen. Widerspricht dies aber nicht dem gängigen Jargon der Eigenverantwortung? Der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, denn die Sprache des Neoliberalismus braucht ein solches rhetorisches Korrektiv, um stets eine Problemlösung für die selbst erzeugten Verwerfungen anbieten zu können. Es läuft was schief? Dann muss er/sie/es sich eben integrieren. Dass die Probleme, die durch mehr Integration angeblich gelöst werden können, kaum der Wahl des Einzelnen entspringen, wird in dieser Rhetorik unterschlagen. Moderne Gesellschaften entwickeln sich immer schon in einer komplexen Dialektik von Einschluss und Ausschluss, Teilhabe und Segregation. Die erwünschten rhetorischen Evidenzeffekte können die »Integrationisten« aber nur erreichen, indem sie das ›Andere‹ der Integration - Klassenunterschiede, Diskriminierung, Globalisierung etc.- zu vorgängigen »Herausforderungen« essentialisieren, für die man sich nicht verantwortlich fühlen muss.Klar: Obwohl es sich um einen dieser typischen postideologischen Begriffe »jenseits von links und rechts« handelt (nur Asoziale sind gegen Integration), gibt es unterschiedliche Akzentsetzungen. Linke fragen eher, was »wir« für »sie«, die zu Integrierenden, tun können, Konservative betonen dagegen »deren« Verpflichtung, sich zu integrieren. Meist changiert der Begriff aber diffus zwischen gesellschaftlichem Auftrag und individueller Verantwortung und sticht auch deshalb im politischen Diskurs. Erinnert sich eigentlich noch jemand an ältere Kämpfe, an die Zeit, in der man ein Problem mit zu viel Integration hatte, mit Opportunismus und Karrierismus? Blumfeld zitierten vor ein paar Jahren in ihrem Song »Die Diktatur der Angepassten« diese heute ziemlich »retro« klingende Anklage. Inzwischen kann es gar nicht genug Integration sein, denn sie verspricht ein harmonisches Ganzes, das uns trotz aller gesellschaftlichökonomischen Verwerfungen und scheinbar »naturgegebener« Ego-Mentalitäten zusammenhält.
Daher haben viele Apologeten der Integration ein Problem mit verborgenen subkulturellen Zusammenschlüssen. Polemisches Sinnbild hierfür ist die bekannte »Parallelgesellschaft«. Die ist aber alles andere als desintegriert, sie ist eben nur »parallel« integriert und stellt aus einem ganz anderen Grund eine Gefahr für die Integrationisten dar: sie entzieht sich deren paternalistischem Metablick. Dabei wird doch gerade in Berlin-Kreuzberg - Musterbeispiel der
»Parallelgesellschaft« - Kommunitarismus gelebt, seine Bewohner sind prima integriert in intergenerationelle Familienbande, mittelständische Unternehmen und Nachbarschaftsinitiativen. Wenn aber ausgerechnet solche subkulturellen Formen der Integration problematisiert werden, entlarvt sich der ideologische Kern der postideologisch sich dünkenden Rede: Erwünscht ist jene Integration, die sich in die Mehrheitskultur und ihre Gepflogenheiten integriert. Kommt die Integrationsrede zu sich selbst, dient sie der Selbstvergewisserung des gesellschaftlichen Mainstreams. Man nennt das »Third Person Communication«: Geredet wird über andere, die man nicht kennt, und wenn die Freunde der Integration nicht schweigen können, reden sie im Grunde von sich selbst.