Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #1: Politisierung



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



AUFKLÄRUNG

 
Peter Siller / Arnd Pollmann
Anstiftung zum Uncoolsein
Warum Politisierung Not tut
 
Barbara Gärtner
Das Gehirn ist nur ein Platzhalter
Die Bürgerkonferenz ''Meeting of Minds''
 
Der wahre Text: 'Strategen Reden'
Neue Berliner Sprachkritik
 
Rudolf Speth
Miese Expertise
Von Think Tanks, Consultants und anderen Ãœbeln
 
Bertram Keller
''Ich bin ein großer Fan des Staates''
Interview mit Martti Koskenniemi
 
Raul Zelik
Aufbegehren, Krieg, Staatlichkeit
Zwei Exempel aus Lateinamerika
 
Klaas Glenewinkel / Anja Wollenberg
Die Wanderung des UKW-Dialers
Zur Mediensituation im Irak
 
 

Robert Misik

Jetzt sauf ma uns an

Kultur als Standort- und Störfaktor


Wer zahlt die Zeche in der Dissenswirtschaft? Die österreichische Kunstszene, seit dem Rechtsruck des Landes in den neunziger Jahren überaus politisiert, schwankt gegenwärtig zwischen Hangover und nüchterner Oppositionslust.

Wenn bedeutende Jahrestage anstehen, dann hält Österreich keine Gedenktage ab, sondern gleich Gedenkjahre. Deshalb ist 2006 Mozartjahr und deshalb hat Peter Marboe, einstiger Kulturstadtrat von Wien, wieder einen Job. Er ist federführender Verantwortlicher für das Mozartjahr und schwimmt im Geld. Eine der von ihm ausgebrüteten Ideen war, an prominente bzw. künstlerisch avancierte Filmemacher Aufträge zu verteilen. Gefragt waren Kurzfilme, die sich dramaturgisch an Werbespots orientieren, und die irgendetwas mit Mozart zu tun haben sollten. Die sollten dann im Kino oder im TV laufen. Auch die Filmemacherin Anja Salomonowitz, trotz ihrer jungen Jahre schon mit manchen Doku-Preisen überhäuft, erhielt so einen Auftrag.

Ihr Film heißt »Codename Figaro« und hat in etwa folgende Botschaft: Zu Mozarts Zeiten waren arrangierte Heiraten ganz üblich. Das Publikum möge sich daran ein Beispiel nehmen: Heiraten Sie einen Asylbewerber, damit der zu
einem der begehrten österreichischen Pässe kommt! Herr Marboe soll getobt haben, als er das Resultat sah.

Anja Salomonowitz ist eine junge Frau mit tiefen Grübchen in den Wangen wenn sie lacht – und sie lacht häufig. Das Wort »lebenslustig« könnte extra für sie erfunden sein. So freut sie sich oft diebisch über ihre eigenen Streiche, sitzt dann im Café Anzengruber, hebt ihr Wodkaglas und sagt in kalkuliert breitem Wiener Dialekt, von dem man nicht genau weiß, ob er nicht auch ein wenig antrainiert ist: »Jetzt sauf ma uns an.«

Das Anzengruber ist so ein Café, dessen Charme davon lebt, dass hier in den letzten Jahrzehnten wenig verändert wurde. Es riecht nach Bohème, auch wenn natürlich jeder weiß, dass das heute gewissermaßen geliehene Gerüche sind, reines Zitat. Gut möglich, dass am Nebentisch Christoph Steinbrener und Rainer Dempf sitzen, ein Künstlerduo, das im vergangenen Jahr eine ganze Wiener Einkaufszeile von Markenlogos gesäubert hat. Alle Werbetexte, Aufschriften und Logos wurden mit gelben Folien überklebt. »Delete!« (Ausradieren) hieß die Aktion und sollte, in den Worten Dempfs, »ein Statement zur aktuellen Explosion von Beschriftung und Werbung im öffentlichen Raum« sein. Es ging um die innere Kolonisierung aller Lebenswelten durch das Kapital oder so ähnlich.

Schäbige Zonen im Wettbewerb

Filme wie die von Salomonowitz oder Installationen wie die der No-Logo- Künstler dürften heute eigentlich kaum weiter der Rede wert sein. Eine Repolitisierung der Kulturszene lässt sich nicht nur in Österreich beobachten. Man weiß das alles und kennt es längst: die neuen Gesten des Rebellischen, von Bühne bis Pop, von Nische bis Mainstream. Jede Stadt hat ihre Subkultur und die, die mithalten wollen im Standortwettbewerb, kommen nicht darum herum, ganze Viertel zu Zonen gediegener Schäbigkeit zu entwickeln, die dem Betrachter annoncieren: Hier ist das Kommerzprinzip lokal außer Kraft gesetzt, zumindest nicht ungebrochen dominant. Demonstrative Dissidenz ist chic geworden, so sehr, dass meist nicht einmal mehr wahrgenommen wird, dass diese Entwicklung doch im Grunde sehr erstaunlich ist: War Kapitalkritik, prinzipienfester Antirassismus unlängst nicht noch schwer aus der Mode, solche Dinge wie Engagement und politische Haltungen hoffnungslos von gestern? Die Repolitisierung der Kunstszene ist so gesehen symptomatisch, weil es in ihrer Sphäre, wo Aufmerksamkeit und Zeitgemäßheit die gängige Währung darstellen, absolut tödlich wäre, verstaubt zu wirken. Die Aufweichung dieses Dogmas ist so gesehen auch ein Barometer für gesellschaftliche Klimalagen.

Das gilt für Wien nicht anders als für Hamburg oder Berlin. Aber doch ist in Österreich eines anders. Die österreichische Gegenwartskultur ist geprägt von der Krise, die Österreich in den neunziger Jahren durch den Aufstieg der Haider-Partei erlebte, bis zum Regierungseintritt der FPÖ im Jahr 2000. Diese Krise machte den politischen Bereich dominant. Sie machte gewissermaßen die Webersche »Differenzierung der Wertsphären« rückgängig. Man war schlichtweg gezwungen, sich gegenüber den Vorgängen im Politischen zu verhalten. Der Bereich des Politischen wurde zum »zentralen Ort« des Gesellschaftlichen. Das hieß, dass alle anderen Sphären diesen zentralen politischen Konflikt auf ihre Art austrugen – in ihren eigenen Formen und Artikulationsmustern. Aber es gab überhaupt keine Frage, dass sich jeder Bereich darauf zu beziehen hatte – das machte ja gerade die Krise aus.

Im Grunde gab es keine »unpolitische« Haltung mehr. Ein Großteil der im politischen oder intellektuellen Feld Tätigen nahmen eine entschieden antirassistische, der FPÖ in Feindschaft, der Regierung in Gegnerschaft verbundene Position ein. Eine Minderheit vertrat indes die Haltung, die Mehrheit betreibe »antifaschistischen Karneval«, verhalte sich alarmistisch und hysterisch. Dies war aber natürlich keine unpolitische, sondern eine klar politische Position – nur eben eine affirmative, zumindest legitimatorische gegenüber den Zuständen. Man mag dazu rückblickend stehen wie man mag, doch eines ist klar: Die unpolitische Position war als einzige nicht im Angebot. Dies wirkt bis heute nach, mögen die großen Gefühle auch verflogen, eine gewisse Ernüchterung (über die mangelnden Erfolge des eigenen Engagements) oder Nüchternheit (angesichts der Entlarvung der FPÖ-Partei als reine Lachnummer) eingekehrt sein. Letztendlich ist den meisten Österreichern heute egal, wer regiert. Aber man hat sich einen Gestus der Dissidenz antrainiert, eine Grundhaltung des Dagegenseins, die natürlich ohnehin mit den im kulturellen Feld chronischen Gesten des Nicht-Einverständnis bestens kompatibel ist.

Wer den Sound kennt, gibt den Ton an

Heute ist die hiesige Kunstszene, viel mehr noch als in den achtziger Jahren, an internationale Diskurse angeschlossen. Auch hierzulande gibt den Ton an, wer den Sound aus Prekarität, Biopolitik, Multitude – oder wie die Catch-Phrasen alle heißen – am besten drauf hat. Das Feld prägt, was es überall prägt: die Erosion der Grenzen zwischen Subkultur und Mainstream sowie die neuen Herausforderungen, die das gebiert – etwa die Integration dessen, was früher noch Subkultur war, in den Kosmos von Kommerz und Standortförderung in Gestalt der »Creative Industries«, und die dadurch in Gang gesetzten Versuche, sich davon möglichst radikal abzusetzen und eine Nische zu behaupten. Kennt man alles, von überall her.

Und doch geht dies mit einer spezifischen Lage einher, die eine neue österreichische Eigenart produzierte: mit dem, was der Wiener Kulturphilosoph Oliver Machart die »Antagonisierung der Gesellschaft« nannte. Die politische Polarisierung, die der Regierungsbildung des Jahres 2000 folgte, hat zu »Formen subkulturähnlicher Kollektivierung« (Rupert Weinzierl) geführt, zur Bildung von Inseln, die mit vielen Brücken und Stegen miteinander verbunden und bis in jene politischen Kreise hinein vernetzt sind, mit denen sie ihr Hauptanliegen – die Ablehnung der Rechtsregierung – teilen. Die Welt der Kunstszene, mit den ihr eigenen Distinktionsstrategien, ist deshalb in Österreich nicht so deutlich geschieden von der Welt der Politik – seien es NGOs oder Parteien – wie anderswo. Gleichzeitig wird scharf darauf geachtet, sich von staatlichen Institutionen abzugrenzen. Wer anderswo mit Bundeskulturstiftungen kooperieren würde, ist darauf bedacht, bloß keine Gelegenheit auszulassen, um Distanz zum hiesigen Kulturstaatssekretär zu markieren.

Die Szenerie, von der die Rede ist, hört(e) auf viele schöne Namen: Volkstanz, Soundpolitisierung, Volkstheaterkarawane, Gettoattack, IG Kultur, Public Netbase usw. Manche dieser Initiativen, Kultur- und Künstlerkollektive haben sich aufgelöst, andere ver- und entpuppt, wieder andere existieren stabil und kontinuierlich – das ist jedoch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass ein Raum aus postautonomer Szene, Theoriecommunity, Kulturschickeria, Antirassismus-NGOs und Politrucks aufgespannt wurde, der durchaus nachhaltige, prägende Kraft hat. Eine ganz wesentliche Bedeutung in diesem Kontext hat der öffentlich-rechtliche »Alternative-Mainstream«-Sender FM4, eine der besten – wenn nicht die beste – staatliche Radiostation im deutschsprachigen Raum, die eine verlässliche Plattform für Haltungen bietet, die dem Mainstream fern stehen.

All dies aus der Perspektive von »Repolitisierung« zu analysieren, ist schon deshalb ein schwieriges Unterfangen, weil die Kulturszene (wie überall) auch hierzulande höchst heterogen ist. Darüber hinaus ist die branchenübliche Umgangsform der Streit und der szenetypische Affekt das Ressentiment – wobei sich im Horizont einer Politisierung auch noch der Distinktionshabitus der Kunstszene mit dem Sektierertum des Politaktivismus aufs Schönste vereint. Die Subkulturkaiser rümpfen die Nase über die etwas Arrivierteren, letztere belächeln wiederum die überholten Rebellenposen der Ersteren. Und so wird man einen Konsens über eine verlässliche Repolitisierungsdiagnose kaum herstellen können. Auf der eher aktivistischen Seite gibt es nach den Jahren des hektischen Engagements so etwas wie einen Hangover. Viele, die explizit politische Kunst machen wollen, sind auch um die Erfahrung reicher, »dass das definitiv bestraft wird«, wie Martin Wassermair von der Netzkultur-Initiative Public Netbase formuliert. Er hat in den letzten Jahren viele gesehen, die »einfach ins Ausland verschwunden sind«, um sich nicht weiter mit einer konservativ gewendeten Kulturpolitik herumschlagen zu müssen. Andere seien auf das neue Paradigma der Eventkultur eingeschwenkt, »um einen Teil vom Subventionskuchen zu bekommen«.

Ohne Coming-out keine Nackerten

Constantin Wulff, früherer Leiter des Filmfestivals Diagonale (das seinerzeit heftig ins Schussfeld der konservativen Kulturpolitik geriet), sieht die Sache nicht ganz so dunkelgrau. Viele hätten in den Wendejahren einen »Schub der Politisierung« durchlebt und seien durch den Aktivismus jener Tage nachhaltig geprägt worden – das zeige sich heute etwa beim aktuellen Dokumentarfilm. »Ohne dieses Coming-out«, so Wulf, hätte es gerade im Film einige Produktionen einfach nicht gegeben. Beispielsweise den Streifen »Operation Spring«, der die Skandale um eine Polizeiaktion gegen die hiesige afrikanische Asylbewerbercommunity dokumentiert und in einer breiteren Öffentlichkeit eine Debatte auslöste, die ohne ihn schlichtweg nicht zustande gekommen wäre. »Es gibt eine personelle Verflechtung von Aktivistenszene und Kulturszene, die es früher nicht gab«, sagt Wulf. Zugleich sei man nun auch in eine Diskussion verstrickt, wie weit man sich mit staatlichen Institutionen überhaupt einlassen dürfe. Dies sei eine Debattenlage, die er aus Deutschland oder der Schweiz so nicht kenne.

Raum für Paradoxien bietet all das ohnehin genug, wie sich um die Jahreswende 2005/2006 am Beispiel einer vom Bundeskanzleramt finanzierten Plakataktion zeigte. Unter dem Titel »EuropArt« wurden Künstler aus allen EU-Staaten gebeten, Plakate zum Start der EU-Ratspräsidentschaft Österreichs zu entwerfen, die dann im öffentlichen Raum gezeigt werden sollten. Einige Plakate sorgten für einen heftigen Skandal und hysterische Debatten nicht nur am Boulevard, sondern auch auf höchster politische Ebene, was beinahe an die goldenen Kulturkampfzeiten von Wiener Gruppe oder an Thomas-Bernhard-Uraufführungen erinnerte. Das paradoxe Resultat war natürlich, dass der Marktwert der radikaleren – und daher besonders skandalisierten – Künstler schlagartig stieg. So ist das eben in der Dissenswirtschaft, die auch nur eine sehr spezielle Form der Ökonomie ist. 􀂄



 
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