George Bushs Rechtfertigung des Irakkrieges halten viele für ein besonders eklatantes Beispiel für Bullshit. Der Philosoph Harry Frankfurt, über Nacht durch den Wiederabdruck des zwanzig Jahre alten Artikels »On Bullshit« zur akademischen Berühmtheit geworden, hält zwar »nahezu alles, was heutzutage in der Politik gesagt wird für Bullshit«, hat aber in diesem Fall seine Zweifel. Der Bullshitter versucht erst gar nicht, überprüfbare Wahrheiten von sich zu geben, sondern fabuliert um eines bestimmten Effektes willen. Ähnlich dem Fälscher, der auf die Art und Weise, wie sein angestrebtes Ergebnis zustande kommt, keinen großen Wert legt, verlässt er sich auf »aufrichtige« Selbstdarstellung. Bei Bushs Irak-Reden handelt es sich eher um Lüge, eine bewusste Täuschung, die das Wissen um wahr und falsch voraussetzt. Die Rezensenten sind begeistert. Wer möchte auch schon den Sinn von Gequatsche verteidigen? Doch bleibt ein Unbehagen. Anders als in der propaganda (lies: bullshit)-getränkten Diktatur kannin der Demokratie der Bullshit durch genau jene entlarvt werden, die zur Verwässerung der Grenze von Realität und Fiktion beitragen: Medien, Politik, Öffentlichkeit. Weniger die Demokratie als vielmehr die Informationsverarbeitung ist hier das Grundübel.
Außerdem müssen funktionierende Öffentlichkeiten wortreiche »Suchbewegungen« zulassen, die sich »im Vorfeld« der Wahrheitssuche abspielen: das Einkreisen von Themen, das Drauflosreden, dasaufgeregte Sich-Empören, den inszenierten Protest, die ironische Kritik. So werden neue Ideen kreiert und kann Macht auf das politische System ausgeübt werden. Demokratie lebt vom Experimentieren mit neuen Lösungswegen, die manchmal eben mit Kot gepflastert sind.
Im Interview lässt Frankfurt verlauten, dass er sich gegenwärtig für das Phänomen der Spin-Doktoren interessiere: PR-Berater, die antreten, der Wirklichkeit einen »Dreh« zu geben, um sie anders, besser aussehen zu lassen. Mit Frankfurt sieht unsere Welt ein wenig schlechter aus. Das ist gut so. Und es ist beruhigend zu wissen, dass man mit der Wahrheit - wie Frankfurt mit seinem Bändchen - auch scheißviel Geld verdienen kann.
Harry G. Frankfurt: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2006. 70 Seiten