Dass Alan Hollinghurst mit seinem mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Roman »The Line of Beauty« auch in Deutschland bekannt wurde, war überfällig. Schon seine früheren Bücher, wie beispielsweise das spektakuläre Debüt »The Swimming-Pool Library« von 1988, bestechen durch ihre ungewöhnliche Kombination aus einer hyperrealen Beschreibungsgenauigkeit mit einer glitzernden, an Henry James erinnernden, fast »dekadenten« Sprachschönheit und einer schwärmerisch-provokanten Explizitheit in der Darstellung von schwulem Sex, wie sie Genet vielleicht hätte schreiben wollen. Aber bei aller Koketterie mit den Topoi des Dandytums und der minoritären privaten Genüsse - alle Protagonisten der Romane sind hochgebildete Ästheten, die elitäre kulturelle und fleischliche Genüsse mit gleicher Leidenschaft verfolgen -, lassen sich in den Nebenschauplätzen und im weiteren narrativen Kontext all dieser Romane scharfsichtige Beobachtungen der Klassendimension und der unerbittlichen Logik sozialer Distinktion finden. Die Handlung der Schönheitslinie ist im London der frühen achtziger Jahre lokalisiert, sozialer Kontext ist das elitäre Milieu politischer Aufsteiger der Conservative Party, für die der Rausch des Wahlsiegs von Maggie Thatcher das neue Leben an der Macht ankündigt. Aus der Perspektive des als Freund des Haussohnes eingeladenen Nick Guest, der weder die politischen Ansichten noch den großbürgerlichen Lebensstil der Familie teilt, entsteht eine plausible Nahansicht der neukonservativen Lebensform, die sich als Entwurf eines coolen und ökonomischen erfolgreichen Britanniens artikuliert. Der Auftritt der frisch gewählten Premierministerin auf einer halbprivaten Veranstaltung der Familie gerät zum prestigeträchtigen Spektakel, die im Raum spürbar zirkulierenden politischen Begehrlichkeiten der jungen und alten Männer machen aus Thatcher einen coolen Popstar, für dessen Auftreten und Aura geschwärmt wird. Ein Tanz, zu der sie der soziale Niemand Guest auffordert, wird zur sinnlichen Geste der Berührung mit der Macht. Und für einen kurzen mimetischen Moment, um den jeder Ideologiekritiker diesen Romancier beneiden muss, glaubt man als Leser mitzuerleben, wie sich ein historischer Sieg anfühlt, dessen Real- und Imaginationsgeschichte vielleicht gerade erst begonnen hat.
Alan Hollinghurst, Die Schönheitslinie, (Blessing Verlag 2005), 571 Seiten