Wenn es stimmt, dass Sprache - verstanden in der Dimension des symbolischen Gesetzes - das ist, was unhintergehbar den Menschen als soziales und politisches Subjekt strukturiert, dann kommt eine Krise der »Regulierung der Worte« der Leugnung von etwas dem Menschen Unvermeidlichem gleich. In eine solche Krise wird das Theater als Kunstmedium verkörperter Sprache unweigerlich mithineingezogen. Der Weg, den es weiter zu beschreiten gilt, bleibt aber ein emanzipatorischer und muss zugleich ein schöpferischer sein.In seinem Anfang 2006 erschienenen Essay »Der Konflikt« anlässlich der Unruhen um die dänischen Mohammedkarikaturen verknüpft Botho Strauss die Analyse, es ginge jetzt um einen »unüberwindlichen Antagonismus sakral/säkular« mit der Feststellung: »Der Konflikt ist zwar nicht zu lösen, dafür aber fest umrissen.« Dann schwillt der Jubel im Bocksgesang an: »Mit der westlichen Einfühlung« in diesen Antagonismus, »ist die herrschende Beliebigkeit, sind Synkretismus und Gleich-Gültigkeit in eine Krise geraten. Vielleicht darf man sogar sagen: Wir haben sie hinter uns. Es war eine schwache Zeit!« Ob Strauss damit die ganze Moderne meint, ist nicht ganz klar. In der Beschreibung der »Vorbereitungsgesellschaft«, in der die »innerislamische Integration« das Konkurrenzmodell zu Integrationsangebot und Assimilationsdruck des »Westens« darstellt, liefert Strauss aber die Linse, durch welche die »Schwäche« der zu Ende gehenden Zeit fokussiert wird: diese islamische Gesellschaft zeichnet sich aus durch »den Nicht-Zerfall, die Nicht- Gleich-Gültigkeit, die Regulierung der Worte, die Hierarchien der sozialen Verantwortung, den Zusammenhalt in Not und Bedrängnis.« Eine implizit als vormodern und patriarchal verstandene »Gesellschaft« bringt so durch soziale Überlegenheit die Moderne in Bedrängnis.
Deregulierung des Vaters
Es fällt nicht schwer aus der Reihung den Grenzfall herauszufiltern, der den Rest erst strukturiert. Es ist die »Regulierung der Worte«, welche den Zerfall verhütet, die Hierarchien stabilisiert und den Zusammenhalt stiftet. Dies ist keine Überschätzung der Wirksamkeit des Wortes durch den Theatermann, die es mit großer sozioökonomischer Apparatur bloßzustellen gelte. Denn mit dem Begriff der »Regulierung der Worte« legt Strauss den Finger auf eine Wunde, die sich exemplarisch auch im zeitgenössischen Theater zeigt. Die Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva hat die Krise der »Regulierung der Worte« so zusammengefasst: »Leben wir noch immer innerhalb einer Zivilisation, die strukturiert ist durch symbolische Gesetze oder haben wir ... das Vermögen, Über-Ich und väterliche Funktion zu repräsentieren und aufrecht zu erhalten, eingebüßt? ... Eine Funktion, die von Menschen während Tausender von Jahren unterstützt und gehegt worden ist, die Verinnerlichung von Verboten durch die Ausbildung eines Über-Ichs oder eines Ideal-Ichs, ist im Begriff, sich zu zerstören und der seelische Raum treibt dahin, versunken im Zustand des Taumels.«
Wenn es stimmt, dass Sprache – verstanden in der Dimension des symbolischen Gesetzes – das ist, was unhintergehbar den Menschen als soziales und politisches Subjekt strukturiert, dann kommt eine Krise der »Regulierung der Worte« der Leugnung von etwas dem Menschen Unvermeidlichem gleich. In eine solche Krise wird das Theater als Kunstmedium verkörperter Sprache unweigerlich mithineingezogen. Spätestens seit Schiller hatte das neuzeitliche Theater im Durchlauf von Konflikt und Konfrontation die Suche nach einer neuen symbolischen Ordnung angesichts der Auflösung des Ancien Régime zum produktiven Gegenstand. Wenn das Theater in der Krise ist, weil die Dialektik von Gesetz und Überschreitung als reales Bewegungsmuster der Kultur in der allgemeinen Logik der Warenwelt untergegangen ist (»Du darfst«); wenn sich die Geschichte der Avantgarde also nicht mehr nur als Geschichte der Kritik lesen lässt, sondern auch als Geschichte der Intensivierung dieser Logik; wenn dafür die »perverse Spaltung« Raum greift, in der Worte zwar benutzt werden, die »Regulierung der Worte« aber verleugnet wird, dann drückt diese Krise eine Kapitulation vor der in der Moderne immer zeitgenössischen und immer schwindelerregenden Aufgabe aus, jenseits von Vorgaben durch eine »sittliche Substanz« die eigene Freiheit mit etwas auszufüllen, das »gemeint« ist und Gemeinschaft schafft. Vielleicht ist das Ende dieser »schwachen Zeit« dann tatsächlich zu begrüßen.
Will the real antagonism please stand up?
Wer Strauss bis dahin folgt, kommt aber unweigerlich zur Frage, ob der »Antagonismus«, der in der Lage ist, die »Beliebigkeit« zu beenden, tatsächlich derjenige zwischen einem säkularen Europa, das sich auf »sein Bestes« besinnt und einer »unmittelbaren Nähe, einer fremden und gegnerischen sakralen Potenz« ist. An keiner Stelle mehr als an dieser schimmert der neidisch-aggressive Blick hervor, durch den wir dem Anderen unterstellen, Zugang zu einer jouissance zu haben, die uns selbst verstellt ist. Hier ist das die Vorstellung, der Andere lebe unter dem Schild einer potenten väterlichsymbolischen Ordnung geschützt vor dem Teufelkreis von Auflösung und Unverbindlichkeit. Es ist aber auch die Furcht vor dem »extimen« Kern unserer eigenen Welt, dem Eigensten, dass in Form des Fremden wiederkehrt: Die Furcht davor, dass uns mit der »Vorbereitungsgesellschaft« und ihren sozialen und politischen Phänomenen nur ein anderes Gesicht unserer eigenen weltumfassenden und weltverändernden Geschichte entgegensieht. Diese Erkenntnis kann allerdings nur teilen, wer bereit ist, islamistischen Fundamentalismus auf der einen Seite und die »Schwäche« der anderen Seite auf den gemeinsamen Nenner zu bringen: als Aspekte einer globalisierten, kapitalistischen Moderne und Ausdruck der Subjektivitäten, die sie produziert. Die Vorstellung einer intakten und feindlichen »sittlichen Substanz« (Hegel), die sich quasi als Eindringling den kranken Körper Europas zum Wirtstier nimmt, ist eine Fantasie. Und die »Vorbereitungsgesellschaft« als Metapher für das Szenario eines in Latenz verharrenden, sich ausbreitenden Angriffs einer »feindlichen Potenz« ist eine rassistische Fantasie.
Strauss verkennt Ursache und Wirkung, indem er einen Konflikt konstatiert, der sich vermeintlich zwischen dem »Sakralen« und dem »Säkularisierten« abspielt, wo ein Konflikt zwischen der Macht, die Subjektivitäten produziert und ihren Strategien, diese wiederum zu kontrollieren und zu »korrumpieren« (Toni Negri), zu beschreiben wäre. Allerdings – und hier liegt die Stärke von Strauss’ Denken – müsste eine solche Beschreibung der »Regulierung der Worte« den alles entscheidenden Platz einräumen, der ihr zukommt. Die Übersetzung dieser Diagnose für das Denken eines politischen Theaters oder der Politik überhaupt müsste darin bestehen, der »Krise der väterlichen Funktion« nicht mit Achselzucken zu begegnen oder gar weiter emanzipatorische Wirkung zuzuschreiben. Sie kann auch nicht darin bestehen, in den unmöglichen Wunsch nach Rückkehr zu alter Verbindlichkeit mit einzustimmen.
Denn das ist Straussens Konzept zur Zurüstung für den eingetretenen Ernstfall: »In dieser Konkurrenz gilt es, unser eigenes Bestes aufzubieten ... das Differenziervermögen an oberster Stelle, das Schönheitsverlangen, geprägt von großer europäischer Kunst ...«, kurz: Verstand und Sinnlichkeit, in hierarchischer Ordnung aufgestellt und kostümiert mit den glänzenden Stücken aus dem hermeneutischen Fundus des Kanons. Er wertet unseren Praxisbereich auf: Kunst und Reflexion. Aber er tut dies so, als wäre die Wiedereinsetzung der Wirksamkeit der Worte eine Frage humanistischer Bildung und voluntaristischer Akte. Friedrich Schiller hat in den Briefen »Über die Ästhetische Erziehung des Menschen« die Grenzen dieses Denkmodells mit aller Schärfe aufgezeigt. Das »heilige Reich der Gesetze« und das »furchtbare« der »Kräfte« sind nicht einfach dadurch zu bändigen, dass das eine dem anderen übergeordnet wird. Bereits »Die Räuber« veröffentlichen die Diagnose. »Das Band mit der Natur ist entzwei«. Weder reicht das Gegensatzpaar »säkular« und »sakral« zu, um diesen Bruch »mit der Natur« zu benennen, noch reichen humanistische Handlungsanleitungen, das Problem zu fassen.
Nicht jeder Speer, der verwundet, heilt
Die Rückkehr bleibt Fantasie: Ob im Gewand eines Fundamentalismus, der nicht deshalb schon weniger »modern« ist, weil er sich eines größeren Reservoirs tradierter Formen und Strukturen bedienen kann, oder in dem eines humanistischen »Europa«, das sich auf sein »Bestes« besinnt. Das Kapital macht weder vor Moscheen noch vor Museen halt. Die Produktivität, die es entfesselt, wird vom Kampf des Mudschaheddin ebenso wenig zurückgedrängt wie durch die Maschinenstürmerei früherer Jahrhunderte. Mimesis, die Nachahmung der guten Natur, der guten Tradition oder der guten Menschen hat nach dem Zusammenbruch der »Regulierung der Worte« ausgedient. Es ist tatsächlich ein Antagonismus, der die globale Gesellschaft bestimmt, doch es ist kaum der zwischen sakral und säkular. Dass das »Gleich-Gültige« auch übersetzt werden kann mit »universelles Äquivalent«, das »Gültige« auch mit »currency«, hat Strauss verdrängt. Die beiden Passagiere »Das Sakrale« und »Das Säkulare« sitzen tatsächlich im selben globalkapitalistischen Boot. Politisierung, ob des Theaters oder anderswo, kann nur heißen, diese Diagnose im ganzen Umfang anzunehmen. Allerdings hat Botho Strauss aufgezeigt, dass es eine trügerische Hoffnung ist, die Auflösung der »väterlichen Funktion«, der Regulierung der Worte, sei an sich schon eine Form von Freiheit. Ohne die schöpferische Gestaltung einer anderen Welt, ob zuerst auf dem Theater oder anderswo, versklavt sie nur noch mehr. Es sind drei Elemente, die Politisierung heute verbinden oder zum Gegenstand künstlerischer Arbeit machen muss: die Diagnose der Krise der »Regulierung der Worte«, die Unmöglichkeit, sie durch Wiedereinsetzung neu wirksam zu machen, und das Aufgeben der Fantasie, dies seien Indices bereits gewonnener Freiheit. Der Weg, den es weiter zu beschreiten gilt, bleibt ein emanzipatorischer und muss ein schöpferischer sein. Und diese Schöpfung schließt die »Regulierung der Worte« mit ein. Friedrich Schiller würde sagen, der Weg dorthin ist ein spielerischer: »Mitten im furchtbaren Reich der Kräfte und mitten im heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten, fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins, worin er den Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihn von allem, was Zwang heißt, sowohl im Physischen als im Moralischen entbindet.«