Früher haben wir die Ärzte gehasst. Wer gegen den Atomtod kämpfte hatte für den Blödelpunk der frühen 1980er Jahre kein Verständnis. Und auch später, nach der Reunion der »besten Band der Welt«, schien uns der breitbeinige Spaßrock näher an den Hosen als es ihm Recht sein konnte. Nach all dem, was danach passierte, fragt man sich allerdings heute, ob man nicht schon damals etwas übersehen hat. Zugegeben: Bela B. sitzt in der Coolness-Falle und funktioniert bis heute nicht, die Texte nicht, die Musik nicht und die Witze auch nicht. Die Astra-Dosen erheben wir aber auf einen, der selbst eher Tee trinkt: Auf Jan Ulrich Max Vetter, kurz Farin Urlaub, einen wirklich großen Entertainer und Sozialrevolutionär unserer Zeit.
Der aufziehenden neuen Klassengesellschaft und allen sozialen Blockaden zum Trotz: Bei Farin Urlaub sind sie alle da. Zum Beispiel letztes Jahr im Sommer (in der Wuhlheide). Seine Konzerte spenden denen Energie, die sie gebrauchen können: ob Marzahner Kleinfamilien auf Hartz IV, Straßenkötern vom Alex, Hängengebliebenen aus Kreuzberg oder Prekären aus Mitte. Alle Distinktionsbegehren der Mittel- und Oberschicht werden binnen Minuten pulverisiert. Kein Zeigefinger, nirgends. Robert Gernhardt in Punk. Und gerade deshalb maximale moralische Autorität: Wehrt euch gegen Nazis, quält keine Tiere, passt euch nicht an. Ergebnis sind eine Blumen-Performance von Zehntausenden und eine pazifistische Wall of Death. »Es ist egal was du bist / Hauptsache ist es macht dich glücklich / Lass dir bloß keinen Scheiß andrehn’ / Das Leben ist schön.«