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polar #8: Unterm Strich



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



PRÄMIE

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PHANTOM

 
Stefan Gosepath
Anstrengung und Markt
Der Widerspruch der Leistungsgerechtigkeit
 
Ist es links? >Leistungsgerechtigkeit<
 
Ralf Obermauer
Minderleister der Legitimation
Die rätselhafte Kraft der Leistungsrede in der politischen Arena
 
Walter Pfannkuche
Jenseits von Neid und Habgier
Wie wir uns überzeugen können, dass wir verdienen, was wir verdienen
 
Michael Miebach
Schwitzen und Denken
Die Notwendigkeit eines positiven Leistungsbegriffs fĂĽr die SPD
 
 

Christian Neuhäuser

Gestatten: Elite?

Eine Inspektion der Leistungsmisere


Bei Worten wie »Leistung« und »Leistungsträger«, fallen neben Spitzensportlern als erstes Bankmanager, Unternehmensberaterinnen, Fondsmanagerinnen und Rechnungsprüfer ein. Das ist kein Zufall, denn in gewisser Weise präsentieren sich diese Berufsgruppen zusammen mit den Topmanagern börsennotierter Unternehmen als die großen Leistungssportler eines globalen Wirtschaftsspiels. Doch es geht bei der Selbstbeschreibung dieser Berufsgruppen als Leistungsträger der Gesellschaft nicht nur um astronomisch hohe Einkommen, sondern noch um etwas ganz anderes, das mindestens genauso wichtig und vielleicht sogar noch viel wichtiger ist. Es geht um geschickte Selbstpräsentation, gesellschaftliches Prestige und letztlich um soziale Macht. Und daher geht es auch darum, ob wir als Mitglieder dieser Gesellschaft jene von der Wirtschaftswelt angebotene Erzählung von Leistung und Beruf, Wirtschaft und Prestige annehmen wollen oder nicht.

Für die Bankmanager und Unternehmensberaterinnen spielt der Verweis auf die eigene Leistungsfähigkeit bei der Selbstpräsentation als Leistungsträger und Leis¬tungselite der Gesellschaft eine zentrale Rolle. Ein kritisches Hinterfragen ihrer angebotenen Selbsterzählung läuft folglich sofort auf die Frage hinaus, was von diesem Leistungsbegriff zu halten ist. Vielleicht, so die skeptische Vermutung, handelt es sich dabei eher um eine Art Leistungswahn, der einen entsprechend wahnwitzigen Leistungsdruck produziert. Tatsächlich spricht einiges für diese Annahme. Das ganze Ausmaß der Leistungsmisere zeigt sich nämlich schon bei einem schnellen Blick auf jenes Leistungsverständnis der Bankmanager, Unternehmensberaterinnen und ihrer Konsorten, das sich hinter ihrer Selbstdarstellung verbirgt: Stets adrett gekleidet, jung oder jung geblieben und sportlich, charmant und immer zu einem Scherz aufgelegt, geht ihnen alles ganz leicht von der Hand. Sie können sechs oder gerne auch mal sieben Tage in der Woche von frühmorgens bis spätabends nonstop arbeiten und das Beste ist: Sie sehen dabei immer gut aus. Pausen gibt es natürlich nicht, entweder wird am Arbeitsplatz nebenbei gegessen oder andersherum beim Abendessen zugleich ein Vier-bis-Acht-Augen-Gespräch oder ein Teammeeting abgehalten, der Jour Fixe findet ohnehin regelmäßig beim Mittagessen statt. Eigentlich ist sowieso alles, was diese mehr oder weniger Young Professionals machen, Arbeit und nichts als Arbeit, und immer wird dabei schier Unglaubliches geleistet – sei es beim Pagen in der U-Bahn, E-Mailen im Flugzeug oder Telefonieren auf der Clubtoilette.

Natürlich ist das alles Quatsch und mehr Schein als Sein. Das bedeutet übrigens auch, dass ein Großteil der horrenden Gehälter der Bankmanager und Unternehmensberaterinnen für schauspielerische Leistungen gezahlt werden, was zumindest erklärt, warum die Bezüge dieser Wirtschaftseliten in die Nähe der Spitzengagen ihre Schauspielerkolleginnen und -kollegen rücken. Aber davon einmal abgesehen und trotz aller Skepsis ein Quantum Wahrheit in jener pompösen Leistungserzählung vorausgesetzt, stellt sich vor allem eine andere Frage: Macht dieser Leistungswahn die Wirtschaftseliten zu einer Art Superhelden oder zeigt er eigentlich nur, dass sie irgendwie hyperaktiv sind? Für letztere Diagnose spricht vor allem die Stumpfheit des Leistungsbegriffs, der dieser ganzen Geschichte zugrunde liegt und physikalisch letztlich sogar falsch ist.

Vabanque
Leistung ist gleich Arbeit geteilt durch Zeit. Nach dieser physikalischen Definition ist es unwahrscheinlich, dass irgendjemand, der sechzehn Stunden am Tag arbeitet, mehr leistet als jemand, der nur acht Stunden arbeitet. Menschen werden im Laufe der Zeit müde, verlieren Energie, Kraft und Konzentrationsfähigkeit, ihre Leistung nimmt also kontinuierlich ab. Allerdings bedient sich die Wirtschaft eines kleinen Tricks, um diese so einleuchtenden Konsequenzen nicht ziehen zu müssen. Wirtschaftliche Leistung wird nämlich als Produktivität definiert und die ist gleich Output geteilt durch Input. Damit lässt sich hervorragend spielen, denn es ist mehr als unklar, was als Output und was als Input zu gelten hat. Diese Unschärfe ist Wasser auf die Selbsterzählungsmühlen unserer Bankmanager und Unternehmensberater als wirtschaftliche Leitungselite. Ihr trickreiches Spiel mit dem unklaren Leistungsbegriff hat folgendes Format: Da Managertypen unglaublich viel Input erbringen und sie ja ganz offensichtlich hochproduktiv sein müssen (wo kommt denn sonst ihr hohes Einkommen her?), muss auch ihr Output dem Input entsprechend groß sein. Doch dieser große Fehlschluss beruht auf der bereits gesetzten Annahme einer tatsächlich hohen Produktivität. Wie verkürzt und – es sei noch einmal betont – stumpf diese Geschichte letztlich ist, zeigt sich am Beispiel eines äußerst produktiven und leistungsfähigen Bankmanagers kurz vor und in der Finanzkrise.

Solch ein Bankmanager hat nämlich genau dann besonders viel geleistet, wenn er möglichst viele Immobilienkredite an mittelfristig zahlungsunfähige, also nur sehr kurzzeitige Hauseigentümer vergeben und möglichst schnell weiterverkauft hat. Er hat ebenfalls besonders viel geleistet, wenn er Tag für Tag und gerne auch mal nachts möglichst viele Aktien- und Fondspakete an ahnungslose Kleinsparer verkaufen konnte. Dies alles hat er natürlich durch unermüdlichen Einsatz, also mindestens eine Sechs-Tage-Woche, unzählige Geschäftsessen, Pagen in der U-Bahn, E-Mailen im Flugzeug und Telefonieren auf der Clubtoilette erreicht. Doch was genau hat er eigentlich erreicht? Worin bestehen seine Leistung und die seiner Kolleginnen und Kollegen eigentlich? Letztlich darin und nur darin, unvorstellbar viele Millionen Dollar und Euro und Yen verpufft und viele Tausend Menschen in den finanziellen Ruin getrieben zu haben. Eine schöne Leistung, mag man da zynisch resümieren. Doch den Bankmanager und seine Kollegen stört dies nicht, denn sie haben ja alles getan, was ihnen das Drehbuch der wirtschaftlichen Leistungselite aufgetragen hat. Sie haben alles gegeben, der Input stimmt also, sie haben auch viel Geld verdient, daher darf am Output und der Produktivität auch nicht gezweifelt werden, sonst würde ja die ganze Leistungserzählung nicht mehr funktionieren. Kein Wunder also, dass sich die Wirtschaftseliten keiner Schuld bewusst sind und inzwischen auch so weiter machen wie bisher. Für sie hat sich tatsächlich auch nach der Finanzkrise nichts geändert: Ihr Leistungsverständnis war schon vorher hinreichend sinnfrei – stumpf eben.

L = ?
Das unterscheidet sie dann doch von den meisten ihrer Schauspielerkollegen, die sich immerhin dessen bewusst sind, dass sie nur etwas vorspielen und sich normalerweise nicht in ihrer Rolle und dabei jeden Bezug zur Realität verlieren. Genau so erscheint es aber den Bankmanagern und Unternehmensberaterinnen, Rechnungsprüfern und Fondsmanagern zu ergehen. Sie glauben, dass es sich bei alldem nur um ein großes Wirtschaftsspiel handelt und sehen sich zugleich als die großen Leistungssportler in diesem ökonomischen Wettbewerb. Daher glauben sie als gute Gewinnertypen auch weiterhin an ihre Leistungsfähigkeit, Krise hin oder her. Dieser völlig stupide und bezugslose Leistungswahn lässt sich nur kurieren, wenn ihm zivilgesellschaftlich ein anderer, ein gehaltvoller Leistungsbegriff entgegengesetzt wird. Ökonomische Leistung darf nicht mehr frei fluktuieren, sondern muss an soziale Leistung, an einen tatsächlich produktiven Beitrag zum Wohl der Menschen, an deren Gemeinwohl gebunden werden. Nur so lässt sich den wirtschaftlichen Leistungseliten klar machen, dass nicht alles ein erwünschter Output ist, was sie dazu erklären. Dann müssen sie einsehen, dass sie in der Finanzkrise absolut nichts geleistet, sondern bloß eine Menge zerstört haben. Ihre gesellschaftliche Anerkennung und auch ihr Einkommen dürfen in Zukunft nicht mehr bloß an irgendeine abstrakt erzählte Leistungsshow gebunden sein, sondern müssen unmittelbar von der sozialen Leistung für ihre Gesellschaft abhängen. 



 
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