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polar #8: Unterm Strich



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



PRÄMIE

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PHANTOM

 
Stefan Gosepath
Anstrengung und Markt
Der Widerspruch der Leistungsgerechtigkeit
 
Ist es links? >Leistungsgerechtigkeit<
 
Ralf Obermauer
Minderleister der Legitimation
Die rätselhafte Kraft der Leistungsrede in der politischen Arena
 
Walter Pfannkuche
Jenseits von Neid und Habgier
Wie wir uns überzeugen können, dass wir verdienen, was wir verdienen
 
Michael Miebach
Schwitzen und Denken
Die Notwendigkeit eines positiven Leistungsbegriffs fĂĽr die SPD
 
Christian Neuhäuser
Gestatten: Elite?
Eine Inspektion der Leistungsmisere
 
Patrick Bahners
Haltung muss sich wieder lohnen
Guttenberg im Wahlkampf
 
Interview Martin Lindner
»Das gehört tatsächlich alles dazu«
 
Claus-Martin Gaul
Die Linke und die Leistungsträger
Oppositionspolitik in der Umverteilungsfalle
 
 

Hannes Grassegger/Lukas RĂĽhli

Leistung oder Marktwert?

Wir jagen ein Phantom


Wenn eine Disziplin den Begriff der Leistung verstanden haben sollte, dann die Ökonomie. Die Wissenschaft der Mittel und Ziele wurde dafür geschaffen, könnte man meinen. In Wirklichkeit ist der ökonomische Leistungsbegriff unscharf, kaum fassbar und unterliegt ständigen Veränderungen.

Die Ökonomie beschäftigt sich mit der Frage, wie aus begrenzt vorhandenen Ressourcen möglichst viele Güter und Dienstleistungen hergestellt werden können. Der Sozialwissenschaftler und Nobelpreisträger Herbert Simon formulierte diese Aufgabe als Wissenschaft der Auswahl des besten Mittels, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Hier setzt auch der ökonomische Leistungsbegriff ein: Welche Handlungsalternative leistet am meisten hinsichtlich der Zielerreichung? Auf den ersten Blick ähnelt dieses Konzept Begriffen der frühen Entwicklungspsychologie, bei denen auf einen subjektiven Tüchtigkeitsmaßstab verwiesen wird.

Der ökonomische Leistungsbegriff scheint dabei vorderhand völlig greifbar. »Herr Ökonom, hier unser Ziel, hier die möglichen Mittel. Könnten Sie bitte deren spezifische Leistung messen und uns die richtige Handlungsalternative nennen?« Verlegen hüstelt der Wirtschaftswissenschaftler. Neidvoll schauen Ökonomen auf den präzisen Leistungsbegriff der Physiker, Energie je Zeiteinheit. Andere Ökonomen lachen sich vielleicht ins Fäustchen, denn Sie haben zur allgemeinen Jagd auf ein Phantom aufgerufen.

Der wichtigste ökonomische Leistungsbegriff ist derjenige der Faktorproduktivität. Diese misst den Output im Verhältnis zu den eingesetzten Inputeinheiten. Inputfaktoren sind zum Beispiel die Arbeitszeit oder das aufgewendete Kapital. Der Output wird, wo möglich, über den Marktwert der hergestellten Güter und Dienstleistungen ermittelt. Input wie Output lassen sich jedoch nur bedingt ermitteln und, wichtig, zuordnen. Somit lässt sich auch die Faktorproduktivität nicht errechnen. Also dienen sowohl Input als auch Output realiter häufig als Leistungsmaßstab. Zwei Beispiele: In manchen Fällen lässt sich nur das Ergebnis, der Output, messen, nicht aber der Input. Klassisches Beispiel ist die zündende Idee eines Werbers in der Kreativwirtschaft. Das Produkt wird ein Hit, die Kundschaft rennt die Läden ein, die Gewinne steigen messbar – doch wo war die Arbeit, der Input des Werbers? Dank des gestiegenen Absatzes ist zudem die errechnete Produktivität des Inputfaktors, also seine Leistung, gestiegen. Und dies, ohne dass an der Produktionstechnologie überhaupt etwas verändert wurde. Wie ist dieses Phänomen mit dem Glauben an ein klar definiertes Leistungskonzept vereinbar?

Nun, umgekehrt verhält es sich mit der Produktivitätsmessung beispielsweise von Verwaltungsaufgaben, bei denen der Output schwer dingfest zu machen ist. Wie auch will man die Anzahl der durch eine gut arbeitende Controlling-Abteilung verhinderten Korruptionsfälle in einem Unternehmen messen? Nur die Arbeitsstunden der Angestellten, der Input, lassen sich zählen. Und abhängig von ihrer Inputleistung werden sie wohl auch bezahlt.

Vier Haarschnitte die Stunde
Lassen wir im Folgenden Fragen zur Messbarkeit von Input und Output einmal beiseite, um den Normalfall der wirtschaftlichen Leistung, die Faktorproduktivität, also Output- je Inputeinheit, zu ergründen. Dieser Leistungsmaßstab ist in einem konkurrenzbasierten Wirtschaftssystem elementar. Wikipedia nennt als Beispiel zur Errechnung der Leistung Schuhpaare, die ein Schuster je Stunde produziert. Als Arbeitgeber werden wir den Schuster einstellen, der – bei identischer Qualität – die meisten Schuhe pro Arbeitsstunde herstellt. Natürlich gibt es nicht nur Güter, sondern auch Dienstleistungen. Nehmen wir exemplarisch Friseure, die von sich behaupten, je Stunde im Salon zwei Haarschnitte, drei Haarschnitte, vier Haarschnitte zu bewältigen. Wir wählen – auch hier unter der Voraussetzung, dass die Haarschnitte aller Friseure die gleiche Qualität aufweisen – die dritte Friseurin für unseren Salon als Mitarbeiterin.

Maßstäbe dienen immer zum Vergleich, sie müssen also eine gemeinsame Grundlage haben, einen gemeinsamen Nenner. In unserem Falle stellt sich heraus, dass auch der gemeinsame Zähler wichtig ist. Hier versteckt sich das Leistungs-Phantom. Ökonomen zählen weder unsere individuelle Leistung noch die Leistung unserer Volkswirtschaft in Schuhen oder Frisuren, sondern in Geld. Das hat den guten Grund, dass wir Ungleiches vergleichbar machen wollen – und deshalb einen gemeinsamen Maßstab finden müssen. Volkswirte behaupten, Geld habe eine »Wertmaßstabfunktion«. Investoren wollen, dass ihr Geld möglichst viel Output erbringt, also am Ort maximaler Produktivität eingesetzt wird. Überlegen wir uns also, ob wir mit unserer Erbschaft einen Friseursalon oder eine Schusterei aufmachen wollen, dann vergleichen wir den Geldwert der in einer Stunde geschnittenen Frisuren aus dem obigen Beispiel mit dem Wert der in derselben Zeit produzierten Schuhe.

Wir zählen in Geldeinheiten, »bewerten« also Güter und Dienstleistungen. Es gibt dazu zwei Möglichkeiten. Innerhalb von Unternehmen, dort wo die Planwirtschaft regiert, ordnet man Zwischenprodukten irgendwelche, meist kostenbasierte Geldwerte zu, wenn sie von einer in die nächste Abteilung verschoben, oder wenn Abteilungen in ihrer Produktivität gemessen werden sollen. Department A »verkauft« Department B Halbfertigprodukte zum Stückkostensatz von so und so viel Euro. Solche Geldwerte sind Ermessensfragen – und das kann ganz schön willkürlich werden.

Geringerer Marktwert = kleinere Leistung?
Außerhalb der unternehmerischen Planwirtschaft, im Markt also, nehmen wir als Zähler den oben erwähnten Marktwert, um die Leistung zu quantifizieren. Das Schuhpaar kann beispielsweise für 34,90 Euro verkauft werden, der Herrenhaarschnitt erlöste 40 Euro. Die Marktwerte sind im Gegensatz zu den innerhalb einer Firma verrechneten, kostenbasierten Geldwerten zwar ein Resultat verschiedenster menschlicher sowie natürlicher Einflüsse und damit nicht dem Urteil eines einzelnen Buchhalters überlassen. Trotzdem – oder gerade deswegen – sind sie kaum weniger willkürlich als Erstere. Wobei, Willkür ist wirklich ein etwas zu menschlicher Begriff für den Marktwert. Der liberale französische Ökonom Frédéric Bastiat beispielsweise untersuchte im 19. Jahrhundert unter anderem den Einfluss der Sonne auf den Marktwert von Kerzen. Er vermutete im Marktsystem sogar das Wirken göttlicher Prinzipien, die Harmonies économiques. Ganz so weit muss man nicht gehen, um die Abhängigkeit des Marktwertes von äußeren und oft nicht steuerbaren Einflüssen darzulegen: Zum Beispiel ist der Marktwert von HD-DVD Recordern seit der Durchsetzung des dazu inkompatiblen Blue Ray-Formats gegen Null gesunken. Oder noch einfacher: Der Marktwert von Winterjacken ist im Frühling geringer als im Herbst. Dies würde den für die Herstellung eingesetzten Produktionsfaktoren eine kleinere Produktivität, sprich: Leistung, bescheinigen, was – rein technisch gesehen – natürlich nicht der Fall ist. Die Ökonomie beschränkt den Leistungsbegriff allerdings nicht nur auf die Leistungserbringung, sondern erweitert ihn um eine temporale Komponente: Eine Leistung ist erst dann eine Leistung, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Umfeld erbracht wird.

Sagen wir also salopp: Der Marktwert ist ein Phantom. Will der Einzelne in unserer Gesellschaft dem ökonomischen Ideal der Leistungsmessung nacheifern, und seinen Tüchtigkeitsmaßstab, seine Leistung, marktwirtschaftlich ausrichten, so muss er im Falle unseres Schusters nicht die Anzahl der von ihm hergestellten Schuhe zählen, sondern den von ihm erzielbaren Marktwert kalkulieren. Er misst also seine Leistung an etwas, das sich ständig verändert und auf das er wenig Einfluss hat, weil hier Faktoren wie zum Beispiel Wetterlagen eine Rolle spielen, die die Nachfrage und somit den Marktwert wetterfester Schuhe bestimmen. Eine Sisyphusarbeit ist das mit der Leistung in der Ökonomie, auf der Mikroebene, in der Perspektive des Einzelnen. Der Maßstab, mit dem die Ökonomen Leistung messen, ist also kaum greifbar, stets in Wandlung, immer am verfliegen. Sicher, das kann eine Business Opportunity vom Feinsten sein für Unternehmensberater, die beauftragt wurden die betriebliche Leistung zu steigern – und so einen Fulltimejob inklusive Schleudersitzgarantie erhalten. Von dem, was die Psychologie als Leistungsbegriff kennt, ist man in der Ökonomie allerdings weit entfernt. Bei uns jagt man ein Phantom. 



 
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