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polar #8: Unterm Strich



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



PRÄMIE

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PHANTOM

 
Stefan Gosepath
Anstrengung und Markt
Der Widerspruch der Leistungsgerechtigkeit
 
Ist es links? >Leistungsgerechtigkeit<
 
Ralf Obermauer
Minderleister der Legitimation
Die rätselhafte Kraft der Leistungsrede in der politischen Arena
 
Walter Pfannkuche
Jenseits von Neid und Habgier
Wie wir uns überzeugen können, dass wir verdienen, was wir verdienen
 
 

Michael Miebach

Schwitzen und Denken

Die Notwendigkeit eines positiven Leistungsbegriffs fĂĽr die SPD


Für die Gründungsväter der Sozialdemokratie war der Begriff »Leistung« mit Würde und Hoffnung verbunden. Die Arbeiter und Handwerker im 19. Jahrhundert schufteten unter widrigen Bedingungen, waren aber stolz auf ihrer eigenen Hände Arbeit. Und sie glaubten daran, durch Leistung den eigenen wie kollektiven sozialen Aufstieg schaffen zu können. Es war die Zeit der Arbeiterbildungsvereine – individuelles Weiterkommen und gesellschaftlicher Fortschritt gehörten zusammen. »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«.

Heute weckt der Leistungsbegriff bei vielen Sozialdemokraten eher negative Assoziationen wie »Elite«, »Leistungsgesellschaft« oder »Leistungsdruck«. So sagte die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel (29) jüngst in einem Interview: »Es gibt grundsätzlich die Möglichkeit, in diesem Land zu leben, ohne dass man zur Arbeit gezwungen wird. […] Ich bin gegen Arbeitszwang. Wenn er nicht arbeiten will, dann gehste halt nicht arbeiten.« Drohsel repräsentiert nicht die gesamte SPD, dennoch ist ihre Äußerung symptomatisch: Die Sozialdemokraten haben die Rede von »Leistung« kampflos den Liberalen und Konservativen überlassen, die den Begriff mit der dumpfen Parole ausfüllen, Leistung müsse sich »wieder lohnen«. Für die SPD ist die eigene Sprachlosigkeit fatal, denn persönliche Leistung und Erfolg gelten in breiten Bevölkerungsschichten als positive Werte. Und noch wichtiger: Nur mit einem kohärenten Leistungsbegriff lassen sich schlüssige Positionen in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen entwickeln. Der von Parteichef Sigmar Gabriel geforderte Kampf um die »Deutungshoheit in dieser Gesellschaft« wird ohne einen sozialdemokratischen Begriff von Leistung jedenfalls kaum zu gewinnen sein.

Den letzten ernsthaften Versuch, den Leistungsbegriff von links offensiv zu besetzen, unternahm Gerhard Schröder mit der Agenda 2010. Im Kern sollten die Arbeitsmarktreformen eigene Anstrengung und Leistung stärker belohnen und einfordern. Damit reagierte Rot-Grün auf den drohenden Zusammenbruch der Sozialsysteme. Die Koalitionäre schafften die Arbeitslosenhilfe ab, die Arbeitslosen über Jahre den vorherigen Lebensstandards gesichert hatte – und lösten damit einen überfälligen Mentalitätswandel aus. Allerdings hatte das Reformprojekt im Hinblick auf den Leistungsbegriff drei Schwachstellen:

Erstens begründete Schröder die geplanten Maßnahmen in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage ausschließlich mit Sachzwängen. »Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen«, lautete der zentrale Satz seiner Regierungserklärung am 14. März 2003. Das klang technokratisch, fast bedrohlich. Leistung wurde nicht positiv als Quelle von neuen Chancen und Lebenssinn definiert, sondern negativ als notwendiges Übel. Es tut uns leid, schien der Bundeskanzler zu sagen, aber weil die Wirtschaft am Boden liegt, müssen wir den Gürtel enger schnallen.

Zweitens sahen die rot-grünen Koalitionäre nicht voraus, dass die Rede von »Aufstieg « und »Förderung« in Teilen der unteren Milieus eher Angst als Hoffnung erzeugen würde. »Das Bildungspostulat der postindustriellen Gesellschaft wird in dieser Schicht mit lebenslanger Chancenlosigkeit für sie selbst übersetzt«, schreibt der Politologe Franz Walter. Wer in Berlin-Neukölln aufgewachsen ist und seit Jahren eine »Maßnahmenkarriere« durchläuft, hat oft den Glauben an eine bessere Zukunft verloren.

Drittens war der Fluchtpunkt der Reformen das sozialversicherungspflichtige »Normalarbeitsverhältnis«. Die Schwierigkeiten der wachsenden Gruppe von Selbständigen etwa in den kreativen Berufen – Künstler, Grafiker, Werber, Wissenschaftler, Architekten –, die häufig unter prekären Bedingungen arbeiten und sozial kaum abgesichert sind (aber über ihre Steuern die Sozialsysteme mitfinanzieren), standen auf der Tagesordnung ganz unten. Ihr Versprechen, sich um die leistungswilligen Gruppen der »Neuen Mitte« zu kümmern, löste die industriegesellschaftlich geprägte SPD nicht ein.

Leistungsblockaden und neue Leistungsträger

Kein Wunder also, dass Gerhard Schröder seinen Begriff von Leistung nur teilweise popularisieren konnte. Daher sollte ein modernes linkes Leistungsverständnis die rot-grüne Reformpolitik zum intellektuellen Ausgangspunkt nehmen – und sie weiterentwickeln. Dabei muss es um einen positiv besetzten Leistungsbegriff gehen, ganz im Sinne der sozialdemokratischen Anfänge im 19. Jahrhundert: Individuelle Bildung und gesellschaftlicher Fortschritt gehören zusammen. Nur wenn durch gute Bildung möglichst viele Menschen Arbeit haben, kann genug erwirtschafteten werden, um die Schwachen zu unterstützen. Aus individueller Perspektive kann Leistung zudem Sinn, Zufriedenheit und materielle Sicherheit stiften. Aber – und das ist entscheidend: Leistung hat komplexe Voraussetzungen.

Beispielsweise reichen die Maßnahmen der Arbeitsagentur zur besseren Aktivierung der bildungsfernen Schichten allein nicht aus. Erforderlich sind zusätzlich die frühe Unterstützung von Eltern, qualitativ hochwertige Kitas mit exzellenter Sprachförderung, die individuelle Förderung von Schülern, die Unterstützung der Eltern, gesunde Schulmahlzeiten, Sozialarbeit. Anders ausgedrückt: Nur ein umfassend vorsorgender Sozialstaat kann Leistung unabhängig von der Herkunft ermöglichen. Parallel müssen wir »soziale Brücken« bauen, auf denen sich die Bürger in Zeiten von Übergängen sicher bewegen können: zwischen Schule und Ausbildung, zwischen Ausbildung und Beruf, bei Jobwechseln oder bei Auszeiten. Soziale Brücken bedeuten neben einer materiellen Absicherung vor allem Weiterbildungsmöglichkeiten und eine gute Arbeitsvermittlung. Je sicherer sich die Menschen in unsicheren Zeiten fühlen, desto leistungsfähiger, kreativer, offener und konkurrenzfähiger werden sie sein.

Und schließlich muss linke Politik die neuen Leistungsträger der kreativen Klasse stärker in den Blick nehmen – die dritte Schwachstelle der Agenda 2010. Zum einen geht es um sozial- und wirtschaftspolitische Antworten auf prekäre, Leistung erschwerende Arbeitsbedingungen. Zum anderen lässt sich von den hoch motivierten, häufig in flachen Hierarchien arbeitenden Kreativen aber auch lernen – zum Beispiel, mit welchen Formen von Arbeitsorganisation man in der postindustriellen Gesellschaft Schöpferkraft und Freude an der Leistung fördern kann. 



 
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