





polar #8: Unterm Strich
EDITORIAL
PRÄMIE
Kai Dröge/Sighard Neckel Leistungsbilanzen Ein Deutungsmuster verflüchtigt sich – und bleibt umkämpft
| Ulrich Bröckling Der Flaschensammler Portrait eines Urban Entrepreneurs
| Jan Wulf-Schnabel Geschlechterkampf im Discounter Was heißt lidlgerechte Leistung?
| Jens Balzer Endlos verlängertes Glück Leistungsverweigerung in der Popmusik
| Bertram Keller Totes Geld Zehn Thesen für ein neues Erbrecht
| Carsten Köllmann Lohn und Brot Einkommensgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit
| Interview Alice Creischer »Nicht-effiziente Visualisierung«
|
 |
Anna-Catherina GebbersMalen nach ZahlenWertsysteme und Leistungsverständnis auf dem Kunstmarkt | 15. September 2008. Lehman Brothers kündigt ihren Insolvenzantrag an und mit diesem Vertrauensverlust spitzt sich die weltweite Finanzkrise zu. Am selben Tag verkauft Damien Hirst seine Werke direkt in einer Auktion bei Sotheby’s London. Bei Beautiful Inside My Head Forever, so der Titel der Versteigerung, kommen erstmals Werke ohne Galerievermittlung unter den Hammer – und bringen die heute in Kunstauktionen gewohnten exorbitanten Summen. Dieser Vertrauensverlust lässt die Kunstwelt den Atem anhalten und markiert nicht nur den Höhepunkt der Kunstmarkt-Blase mit ihren in absurde Höhen getriebenen Preisen, sondern auch die bemerkenswerte Autonomie des Künstlers Hirst. Die traditionelle Rollenverteilung im Kunstmarkt ist ins Wanken geraten, und zugleich wird ein Licht auf die komplexe Inszenierungsleistung der Kunstwelt geworfen.
Wie lässt sich Leistung in der Kunstwelt bestimmen? Als das Ergebnis einer zielgerichteten Anstrengung pro Zeiteinheit bei bestimmter Arbeitsqualität? In Bezug auf die Werke selbst scheitert diese Annäherung daran, dass sich Arbeitsqualität in der zeitgenössischen Kunst seit der Verabschiedung der normativen Ästhetik und der Gestaltungsreglements der handwerklichen Zünfte im 18. Jahrhundert kaum mehr nach objektiven Kriterien definieren lässt. Könnte man dann nach Arbeitsproduktivität fragen? Ebenfalls schwierig, da gerade im Kunstbetrieb die größte Quantität oft mit der geringsten Qualität einhergehen kann, aber eben nicht muss. Gibt denn das Verhältnis von Input und Output über die Leistung Aufschluss? Für dessen Berechnung kann die Kunstwelt kaum Bemessungsgrundlagen zur Verfügung stellen, da beide Variablen unterschiedlichsten Ökonomien bzw. symbolischen, kulturellen, ökonomischen oder sozialen Wertesystemen angehören können, die je nach Bedarf ineinander konvertierbar sind. Kann in der Kunstwelt Leistung also überhaupt ein Maßstab sein, anhand dessen Handlung und Handlungsergebnis bewertet werden? Um diese Frage zu beantworten, muss man die verschiedenen Ökonomien des Kunstbetriebs und ihre Verwobenheit betrachten.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist der Doppelcharakter des Kunstwerks: Pierre Bourdieu bezeichnet es als »symbolisches Gut« – das Kunstwerk ist Kulturgut und Ware in einem. Die Kunstkritikerin Isabel Graw geht einen Schritt weiter und differenziert umso deutlicher Symbolwert und Marktwert des Kunstwerks. Der Symbolwert umfasst nach Graw die schwer zu fassende symbolische Bedeutung als Ergebnis der Singularität, kunsthistorischen Zuschreibung, Etabliertheit des Künstlers, Originalitätsverheißung, des Versprechens auf Dauer, Autonomiepostulats, intellektuellen Anspruchs und der idealistischen Aufladung der Kunst. Diese symbolische Bedeutung ist unbezahlbar. Auch die ästhetische Leistung einer künstlerischen Arbeit lässt sich kaum evaluieren. In jede Kunstproduktion sind neben handwerklichen und intellektuellen Leistungen wie ihre Bezugnahme auf die Kunstgeschichte ebenso psychische, soziale und ökonomische Machtbeziehungen eingeschrieben. Das soziale Beziehungssystem spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle: Künstler, Kuratoren, Galeristen, Sammler und Kritiker sind an der Bedeutungs- und damit einhergehenden Wertproduktion beteiligt. Der Ruf der Galerie und ihr Programm, die Platzierung in »guten« privaten oder institutionellen Sammlungen, also die Kontextualisierung mit als bedeutend geltenden Orten und anderen Werken, die Nobilitierung durch kunsthistorische und kunstkritische Texte seien dabei nur als einige Beispiele für eine symbolische Aufwertung genannt, auf die durch geschicktes Agieren in sozialen Netzwerken Einfluss genommen werden kann und wird: Zur symbolischen Bedeutung gehört die Anhäufung von kulturellem Kapital und auch im Markt des Wissens gehört Klappern zum Handwerk.
Ohne Grundlage steigt der Preis Der Marktwert ist eine Funktion dessen und wirkt sich umgekehrt auch auf den Symbolwert aus, da ein teures Werk an Bedeutung gewinnt und ein Preisabsturz Qualitätsfragen aufwirft. Dennoch wird in der Kunstwelt ungern über Geld gesprochen. Wie die Juristin und Kunstberaterin Piroschka Dossi in ihrem Buch bemerkt, herrscht in keinem anderen Markt eine so fundamentale Unsicherheit über den Wert der gehandelten Ware wie im Kunstmarkt. Das liegt zum Einen daran, dass die Loslösung von handwerklichen Kriterien sowie von normativen Ästhetiken und die seit dem 18. Jahrhundert fundamentale Forderung nach der Freiheit der Kunst die Einschätzung erschwert. Nicht mehr Materialität und Abbildcharakter des Kunstwerks, sein Ringen um das Wahre, Gute und Schöne zählen, sondern die Erfindungsgabe des Künstlers. Statt evaluierbarem technischen Können ist nun preislose, kaum quantifizierbare Kreativität gefragt. Zum Anderen bildet genau diese idealistische Annahme der Unbezahlbarkeit die Grundlage für Preisspekulationen und den Hype um die Kunst. Das Unkommerzielle, das Unkonventionelle oder die Marktreflektion werden zu Qualitätsmerkmalen eines gut verkäuflichen Kunstwerks. An die Stelle der Forderung, sich an die normativen Traditionen zu halten tritt für Künstler die Forderung nach stetiger Erneuerung. Und dieser Innovationsimperativ ist laut dem Kulturphilosophen Boris Groys sogar die einzige Realität, die in der Kultur zum Ausdruck gebracht wird. Denn die kulturelle Innovation ist Zeichen der modernen (Kultur-)Ökonomie: Durch das Neue entsteht Mehrwert. Die Preislosigkeit eröffnet in Folge dessen die Bühne für zahlreiche Inszenierungen des Innovativen, Kreativen und Besonderen, die zur Valorisierung und zur Preisbildung führen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Kunsthandel: Seit sich die Kunst aus den aristokratischen und kirchlichen Abhängigkeiten gelöst hat gehören der Handel und das Marketing zu ihren Rahmen- und Produktionsbedingungen. Während Bourdieu das künstlerische Feld noch als »relativ autonom« auffasste, schlägt Graw daher vor, von einer »relativen Heteronomie« zu sprechen. Und – darin sind sich Graw wie Groys mit den Soziologen Lars Gertenbach und Pierre Bourdieu einig – auch die kritische Betrachtung ist nur aus der Position des teilnehmenden Beobachters möglich: Es gibt kein Außen der Ökonomie.
Eigeninitiative: Positionierung und Inszenierung Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Künstlerkarriere wird deutlich, dass die Doxa, also die Prinzipien des Urteilens und Bewertens in der Kulturökonomie durch einen ausgehandelten Glauben beeinflusst werden. Und so müht sich der Künstler nicht nur durch genuin künstlerische Leistungen an der Erneuerung der Kunstgeschichte, um in selbiger einen Platz zu ergattern. Er betreibt auch die Vermarktung seiner eigenen Person. Teil dieser Leistung ist es, an einer angesehenen Akademie zu studieren, dann in der »richtigen« Galerie unterzukommen und eventuell einen Mythos um seine Person zu kreieren. Und es gehört zur Leistung einer Galerie, ihren Ruf als »richtige«, also ernstzunehmende und einflussreiche Vertretung zu etablieren. Dazu gehört neben der Einschätzung der künstlerischen Leistung und ihrer Dauerhaftigkeit auch das passende Marketing in Hinsicht auf den Verkauf, aber auch in den Märkten des Wissens und den institutionellen Märkten (Zeitschriften, Kunstakademien, Kunstinstitutionen, Symposien, Lexikumseinträge, Großausstellungen), um den Künstler im Feld zu etablieren. Die Platzierung in einer symbolisch bedeutenden Sammlung ist ein ebenso entscheidendes Marketinginstrument, um den Symbol- und Marktwert zu steigern wie die Erwähnung in den symbolisch wichtigen Medien. Hinsichtlich des Handels mit der Ware Kunst bilden Künstler, Galerie und Sammler den primären Markt – Kunsthändler den sekundären Markt und Auktionen einen weiteren Markt. Neben der finanziellen Potenz bilden Prestige, Aufmerksamkeitswert und Netzwerkkompetenz hier die Währungen: Eröffnungspartys, glamouröse Abendauktionen und Kunstmessen sind ihre Börsen. Zielgruppe der Kunsthändler und Auktionshäuser für zeitgenössische Kunst sind vor allem Sammler, die von den Galerien nicht bedient werden, weil sie beispielsweise als nicht prestigeträchtig genug betrachtet werden. Für die Auktionshäuser gilt es als untrügliches Zeichen für die Auktionsreife eines Künstlers, wenn dank der Leistung der Galerien seine letzten Ausstellungen ausverkauft waren und etwa 80 Prozent der Werke an Institutionen gingen. Die Verkaufsinszenierungen der Auktionshäuser folgen einer höchst eigenen Dramaturgie, die mit der Gier der Sammler und der Theatralität der Veranstaltung ihr eigenes Spiel treiben und geschickt die Preise in die Höhe schrauben. Dieser Leistung ist es zu verdanken, dass als weiteres Zeichen der Nachfrage wiederum auch die Preise im Primärmarkt steigen. Preise bestimmen zwar zunehmend die künstlerische Anerkennung. Dennoch ist der Symbolwert stets eine unerlässliche Rückversicherung für den Marktwert. Und so bemühen sich auch Auktionshäuser und Galerien um kunsthistorische Absicherung in den Texten ihrer Kataloge – oft genug geschrieben von Kunstkritikern, die für dieses zwar symbolisch weniger wertvolle, aber dafür finanziell um so lukrativere Tätigkeitsfeld dankbar sind.
Die verschiedenen Parameter beeinflussen einander, nicht zuletzt weil hybride Rollen die Positionsbestimmung im Feld nicht einfach machen: Museumskuratoren beraten Privatsammler, Privatsammler sitzen in Museumsankaufskommissionen, Kunstkritiker schreiben für Auktionskataloge und kuratieren Ausstellungen in kommerziellen Galerien. Entsprechend besteht die Kunstwelt aus einem System ständig wechselnder Netzwerke mit sich permanent ändernden ökonomischen und symbolischen Gewichtungen. Der Künstler Damien Hirst hat dies eindringlich vorgeführt: Er stellt es der jeweilig gewichteten Betrachtung frei, Beautiful Inside My Head Forever als genialen merkantilen Coup, als kluges marktflexives Werk oder gar als beides zu interpretieren. Oder als letzten Paukenschlag einer overhypeten Karriere.
|

| Der wahre Text: >Leistungsprämie<
| Ina Kerner Leben im Kapitalismus: >Allez allez allez!<
|
PHANTOM
PILLE
SCHÖNHEITEN
Judith Karcher Die Wette Desperado: Tarantino als Seher der Finanzkrise
| Anna Sailer Unterm Strich Werbende Antworten bei der Postbank: Fragen bei Agota Kristof
| Johannes Kleinbeck Tanz auf dem Seil Was soll ich sagen? Werner Herzogs Lebenszeichen
| Christoph Raiser Ausrutscher Höchstleistung ohne Arbeit: Gaston Lagaffe von André Franquin
| Michael Eggers Das Boot Großtat mit Tortenschlacht: Sloterdijk, aufgespießt vom pathos transport Theater
| Franziska Schottmann Der Zeuge Die Wiederkehr des Verdrängten: La Sentinelle von Arnaud Desplechin
| Kendra Briken Metropole im Kopf Woher Du kommst: Stephan Thomes Roman Grenzgang
| Tim Caspar Boehme Remmidemmi Spaßhaben als Leistungsprinzip: Deichkind zur Arbeitsgesellschaft
| Daniel Loick Der traurige Souverän Anarchistisches Manifest: Spike Jonzes Where the wild things are
| Peter Siller/Stephan Ertner Kein Zeigefinger, nirgends Der Humanist des Punk: Farin Urlaub
|
|

nach oben

|
|
 |
|