





polar #19: Krieg und Frieden
EDITORIAL
INTERVENTION
INVENTUR
INTROSPEKTION
SCHÖNHEITEN
Patrick Thor Das höchste Spiel Von der Welt als Western: Cormac McCarthys Blood Meridian Or The Evening Redness in the West
| Christoph Raiser Irre Krieg und Klischee: The Incal von Alejandro Jodorowsky und Moebius
| Robin Celikates Happy Days Kriegsfolgen und Vatervergötterung: Kenzaburo Ôes The Day He Himself Shall Wipe My Tears Away
| Anna-Catharina Gebbers Zähne Zeigen Reparatur als Transformation: Kader Attias The Repair
| Franziska Humphreys Vermintes Gebiet Löcher in der Kausalität: Wolfgang Herrndorfs Sand
| Bertram Lomfeld Ein seltsames Spiel Nicht zu gewinnen: Thomas Schellings The Strategy of Conflict
| Arnd Pollmann Kriegsmüde Demokratie, Völkerbund und Weltbürgerrecht: Kants Zum ewigen Frieden
| Hybris und Kalkül Zynische Verkehrung: Carl Schmitts Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff
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Tillman VogtGelage und Gemetzel Unerträglich: Curzio Malapartes Kaputt | Kann man sich mittels Entsetzen, Ekel und Bestialität ästhetischen Genuss verschaffen? Nach Charles Baudelaires Blumen des Bösen macht sich unter Feingeistern jeder der Rückständigkeit verdächtig, der diese Frage verneint. Nur selten bekommt die avantgarde-bewusste Abgeklärtheit noch Risse, und es ereignet sich so etwas wie ein Skandal. Ein Paradebeispiel dafür ist Curzio Malapartes essayistische Weltkriegsreportage Kaputt, die, 1944 in Italien erschienen, bis heute die Gemüter erregt. Mit einer nur schwer erträglichen, aber brillanten stilistischen Opulenz schildert Malaparte darin seine als Kriegsberichterstatter des Corriere della Sera unternommenen Reisen durch das vom Krieg überzogene Europa, das sich als dämpfiger Kontinentfriedhof aus ölverschmierten Panzerwracks und fauligen Menschenleibern präsentiert. Und als Bühne für den Reporter: Denn Malaparte bereist nicht nur die Schlachtfelder, sondern nimmt als vermeintlich neutraler Beobachter auch gern Platz an den reich gedeckten Tafeln der obersten Nazifunktionäre, um mit sarkastischen bis zynischen Kommentaren die Fallhöhe zwischen blubbernden Bratensoßen im Besatzerhauptquartier und dem Hungertod im Warschauer Ghetto literarisch auszukosten und sich selbst als überlegen-spöttischen Beobachter zu stilisieren.
Dass viele Szenen zudem wohl eher Malapartes Fabulierkunst entspringen als dem peniblen Auge des Dokumentars, hat ihm den Vorwurf der Hochstapelei eingebracht, oder ins politische gewendet: des Opportunismus. Selbst früher Mitglied der faschistischen Partei, war er dem Duce recht bald nicht mehr so recht geheuer und landete in der Verbannung was ihn jedoch nicht daran hinderte, weiter gute und für ihn komfortable Kontakte zum Regime zu unterhalten und sich dabei obendrein Kommunist zu nennen. In Malaparte und seiner Prosa kreuzen und verwirren sich alle Frontlinien des Zeitalters der Extreme. Dass Malapartes Schlachtenbild jede Hoffnung auf eine moralisch sichere Seite ausschlägt, Besatzer und Befreier zwar nicht gleichstellt, durch ihre Kollaboration mit der Bestialität jedoch beide als verdorben - eben als »kaputt« - vorstellt, ist schier unerträglich. Und doch oder gerade deshalb kommt seine Herrschaft der Ästhetik über die Humanität, die Einsprüche wie Opportunismus und Aufschneiderei lustvoll ignoriert, einer Wahrheit des Krieges so nah wie eben nur die Kunst es vermag. |
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