





polar #19: Krieg und Frieden
EDITORIAL
INTERVENTION
INVENTUR
INTROSPEKTION
SCHÖNHEITEN
Patrick Thor Das höchste Spiel Von der Welt als Western: Cormac McCarthys Blood Meridian Or The Evening Redness in the West
| Christoph Raiser Irre Krieg und Klischee: The Incal von Alejandro Jodorowsky und Moebius
| Robin Celikates Happy Days Kriegsfolgen und Vatervergötterung: Kenzaburo Ôes The Day He Himself Shall Wipe My Tears Away
| Anna-Catharina Gebbers Zähne Zeigen Reparatur als Transformation: Kader Attias The Repair
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Franziska HumphreysVermintes GebietLöcher in der Kausalität: Wolfgang Herrndorfs Sand | »Es war der Morgen des 23. August 1972.« Unmissverständlich schreibt Wolfgang Herrndorf seinem Wüstenroman ein Datum ein. Das Massaker in der Hippie-Kommune, das als Ausgangspunkt der Agentenstory dient, spielt sich am Vorabend der Olympischen Spiele in München ab. Was als pazifistische Demonstration eines neuen, friedlichen Deutschlands geplant war, endete in einer blutigen Katastrophe. Geblieben sind die Bilder, die, unerhört brutal und eigentümlich ästhetisch, bis heute keine symbolische Einschreibung finden konnten und in Herrndorfs Tableaus vor dem Hintergrund sehr realer Wüstenkriege in Syrien und im Irak grausam reaktualisiert werden. Das Dekor nordafrikanischer Elendsviertel wird so zum Schirm für die Schreckensbilder unseres kollektiven geschichtlichen Unbewussten. Vielleicht stellt sich die Frage nach Krieg und Frieden genau hier: Was geschieht wenn unbewältigte Geschichtserfahrung durch aktuelle Ereignisse wieder auflebt und eine Gesellschaft mit der fundamentalen Sinnlosigkeit traumatischen Geschehens konfrontiert wird? Wenn ihre Fähigkeit auf dem Prüfstand steht, symbolische Formen für die Handhabe ihrer uneingestandenen Ängste zu erfinden?
Tatsächlich liegt Herrndorfs nihilistische Geschichtsphilosophie in den fünf Buchstaben MINE, die einziger Anhaltspunkt des amnesischen Erzählers sind. Keine historischen Kausalzusammenhänge begründen den Ausbruch der Gewalt, sondern die fatale semantische Mehrdeutigkeit eines Wortes. Oder, wie Herrndorf (Joseph Vogl und Alexander Kluge zitierend) bemerkt: »Das sind die Löcher in der Kausalität. Es ist der fehlende Zusammenhang von Ursache zu Wirkung. An diesen Stellen klafft das ganze Universum auf.« Die Eröffnungs- und die Endszene von Sand fügen sich zu einem desaströsen Panaroma der Verwüstung, über die der grausame Meister Zufall herrscht. Krieg und Frieden, so könnte Herrndorfs Fazit lauten, ist keine Frage kontrollierten, strategischen Kalküls, sondern Missverständnis, Fehleinschätzung, Abweichung: groteske Dummheit.
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| Bertram Lomfeld Ein seltsames Spiel Nicht zu gewinnen: Thomas Schellings The Strategy of Conflict
| Arnd Pollmann Kriegsmüde Demokratie, Völkerbund und Weltbürgerrecht: Kants Zum ewigen Frieden
| Hybris und Kalkül Zynische Verkehrung: Carl Schmitts Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff
| Tillman Vogt Gelage und Gemetzel Unerträglich: Curzio Malapartes Kaputt
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