





polar #17: Schuld und Schulden
EDITORIAL
HALTUNG
HAFTUNG
HEU
SCHÖNHEITEN
Thomas Biebricher Eigentümliche Legierung Von Ebeneezer Scrooge bis Dagobert Duck: Margaret Atwoods Payback
| Kerstin Carlstedt Auch nicht glücklicher Wir wollen, was ihr habt: John Lanchesters Gesellschaftsroman Kapital
| Christoph Raiser Nimm es nicht persönlich Ohne Schuld kein Staat: John le Carrés Dame, König, As, Spion
| Anna-Chatarina Gebbers Unzurechenbar Politiken des Displays: Mariana Castillo Deball im Hamburger Bahnhof
| Judith Karcher Die eigene Blödheit Von der Angst, etwas zu verpassen: Rainald Goetz’ Johann Holtrop
| Julia Roth Verwobene Geschichten Der orientalisierte »Andere«: Zum Sammelband Jenseits des Eurozentrismus
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Ulrich RaiserDas eigene GesetzSozialität der Schuld: Dostojewskis Schuld und Sühne | Schuld und Sühne von Fjodor Michailovitsch Dostojewski entfaltet von der ersten Seite an einen Sog, dem sich keine halbwegs sensible Natur entziehen kann. Die Hybris des Protagonisten Raskolnikov, der glaubt, man könne das Gewissen mit einem intellektuellen Taschenspielertrick ausspielen. Die Panik, die sich seiner bemächtigt, als er aus dem Rausch des Mordes erwacht. Die Selbstentfremdung im Angesicht seiner Tat bis hin zum Zusammenbruch und schließlich die Erlösung durch die bedingungslose Liebe Sonjas. Alles das könnte kitschig sein, ist aber psychologisch so mitreißend konstruiert und geschrieben, dass es einen als Leser tief unberührt. Dem scheinbar gewissenlosen Helden bricht unter der Last Schuld der Boden unter den Füßen weg. Er verliert nicht nur den Kontakt zu sich, zugleich zerreißt auch das Band, das ihn mit der Gesellschaft verbindet. Seine monströse Tat macht ihn nicht nur a-sozial, er empfindet diesen Zustand körperlich. Inmitten einer grellen, lauten und feindseligen Großstadt wird Raskolinkov von einem Gefühl tiefer Einsamkeit und Verlassenheit erfasst.
Selten ist der psychische Zusammenbruch eines Mörders so radikal beschrieben worden. Stand bei Camus das grelle Mittagslicht des Strandes als Symbol für die Weltverlassenheit des Täters, so ist es bei Raskolnikov die hässliche Fratze der Großstadt, die seine Einsamkeit bis zur völligen Panik steigert. Modernitätskritik als Kriminalroman. Raskolnikov - ein früher tragischer Held der Moderne - der glaubt autonom zu sein und sein eigenes Gesetz schreiben zu können, wird von seinem Gewissen überwältigt. Ein Gewissen, das immer schon eingewoben ist in soziale Beziehungen und damit die Autonomieillusion radikal zerstört. Es die Sozialität der Schuld, die Raskolnikov verstört und schließlich erlöst.
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| Tilman Vogt Kassensturz Protestantische Moralökonomie: Gottfried Kellers Der Grüne Heinrich
| Philipp Wahnschaffe Unsagbare Qualen Größte Empathie: Svetlana Alexijewitschs Collage Secondhand-Zeit
| Patrick Thor Bewusst blind Warum ich schuldig wurde, weiß ich nicht mehr: Pier Paolo Pasolinis Edipo Re. Bett der Gewalt
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