





polar #17: Schuld und Schulden
EDITORIAL
HALTUNG
HAFTUNG
HEU
SCHÖNHEITEN
Thomas Biebricher Eigentümliche Legierung Von Ebeneezer Scrooge bis Dagobert Duck: Margaret Atwoods Payback
| Kerstin Carlstedt Auch nicht glücklicher Wir wollen, was ihr habt: John Lanchesters Gesellschaftsroman Kapital
| Christoph Raiser Nimm es nicht persönlich Ohne Schuld kein Staat: John le Carrés Dame, König, As, Spion
| Anna-Chatarina Gebbers Unzurechenbar Politiken des Displays: Mariana Castillo Deball im Hamburger Bahnhof
|
 |
Judith KarcherDie eigene BlödheitVon der Angst, etwas zu verpassen: Rainald Goetz’ Johann Holtrop | Mit der Finanzkrise interessierten sich plötzlich auch die Feuilletons, die Theatermacher und Belletristen für das an sich so trockene und stets missachtete Milieu der Finanzwirtschaft. Auf vielfältige Art versuchte man einzufangen, was da geschehen war: das schier unvorstellbare, ungreifbare, ja irgendwie auch wahnsinnig aufregende Vernichten von sehr, sehr viel Geld. Die Kernfrage lautete dabei stets: Was sind das denn für Menschen, diese Maß und Mitte verlierenden und verachtenden Banker und Boni-Einstreicher? Fühlen die denn gar keine Verantwortung, kein Mitgefühl, keine Schuld?
Neben vielen missglückten Versuchen, wie Andres Veiels Himbeerreich oder Martin Scorseses Wolf of Wall Street, hilft vor allem ein Roman bei dieser Frage weiter: Johann Holtrop. Rainald Goetz porträtiert darin im Zuge seines spekulativen Realismus nicht nur Aufstieg und Fall eines egomanischen Unternehmensleiters zwischen Dotcom-Kater und dem nächsten großen Crash -, sondern auch diejenigen, die ihn auf diesem Weg begleiten. Scharf und streng entblößt Goetz in immer neuen Wortschöpfungen die Kollektivmitläufertypen, die Telekomaktienkäufer, deren unschöne Gier einem noch unschöneren Beleidigtsein gewichen war. »Für die eigene Blödheit vom Leben auch noch bestraft zu werden, dass fanden diese Leute jetzt plötzlich allesamt empörend, eine Ungerechtigkeit der Welt gegen die sie am liebsten geklagt hätten und bis nach Karlsruhe gegangen wären, um sich Schadensersatz dafür zu erstreiten, dass ihre Weltsicht der Geldgier, obwohl kollektiv so angstvoll abgesichert, falsch war im Effekt, Dummheit aller, allgemein gelebte Idiotie.« So wichtig es ist, die Verantwortung von Bankern und Politik klar zu benennen und mit kluger Regulierung, Handeln und Haftung im unternehmerischen Sinn wieder zusammen zu führen, so nötig ist es, die Verantwortung all derjenigen zu benennen, die mitmachten aus Angst, etwas zu verpassen. So streng und amüsant wie Rainald Goetz gelingt das keinem anderen.
|

| Julia Roth Verwobene Geschichten Der orientalisierte »Andere«: Zum Sammelband Jenseits des Eurozentrismus
| Ulrich Raiser Das eigene Gesetz Sozialität der Schuld: Dostojewskis Schuld und Sühne
| Tilman Vogt Kassensturz Protestantische Moralökonomie: Gottfried Kellers Der Grüne Heinrich
| Philipp Wahnschaffe Unsagbare Qualen Größte Empathie: Svetlana Alexijewitschs Collage Secondhand-Zeit
| Patrick Thor Bewusst blind Warum ich schuldig wurde, weiß ich nicht mehr: Pier Paolo Pasolinis Edipo Re. Bett der Gewalt
|
|

nach oben

|
|
 |
|