





polar #17: Schuld und Schulden
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| Kerstin Carlstedt Auch nicht glücklicher Wir wollen, was ihr habt: John Lanchesters Gesellschaftsroman Kapital
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Christoph RaiserNimm es nicht persönlichOhne Schuld kein Staat: John le Carrés Dame, König, As, Spion | Am Ende, kurz vor dem letzten Schuss in John le Carrés Tinker, Tailor, Soldier, Spy, dem ersten Teil der fantastischen Karla-Trilogie, baut sich die Tragödie wundervoll auf. Der Maulwurf und Bösewicht Hayden, der über Jahre dem russischen Meisterspion Karla zugearbeitet und damit den britischen Geheimdienst, den Circus, in den Abgrund gestoßen hat, darf auspacken. Sein Gegenpart Smiley, der, herrlich entrückt und gleichzeitig irre zielstrebig, den Maulwurf gesucht und schließlich Hayden gefunden hat, schenkt ihm sein ganzes Ohr. Und Hayden beginnt mit dem erwartbaren Monolog über den Niedergang des britischen Empire, die schamvolle Abhängigkeit von den unkultivierten US-Brüdern undsoweiterundsofort. Und er entschuldigt sich bei Smiley, dass er ihm als Teil des ganzen Verrats auch seine Frau ausgespannt hat.
Bis dahin alles wunderbar, es ist das klassische Schema der Erklärung des Verrats. Aber dann wird er still, als Smiley ihn fragt, warum er ausgerechnet seinen alten Freund Prideaux im Außeneinsatz verraten hat. Smiley bleibt nichts anderes übrig als davon auszugehen, dass es ein tragisches Versehen war. Wenige Stunden später ist Hayden tot, gezielt erschossen von eben jenem Prideaux, der gefoltert und gebrochen wiedergekehrt ist und die einzige Chance zur Rache nutzt, die sich ihm bietet. Und genau hier offenbart sich ein Begriff von Schuld, den John le Carré durch fast alle seine Bücher zieht. Schuld ist Hayden nicht, weil er den Circus ruiniert - das ist gewissermaßen Teil des Sports -, sondern weil er seinen Freund und womöglich auch früheren Liebhaber verrät. Auch Karla, der große Gegenspieler Smileys, ist nicht der Bösewicht, weil er dem anderen politischen System dient, sondern weil er genau diese persönliche Ebene ausnützt, und gewissermaßen unfair spielt. Smiley, der alte Fuchs und Gentleman, hadert mit sich, aber gewinnt das große Duell schließlich, weil auch er persönliche Schwächen Karlas erkennt und ausnutzt. Und gerade in dieser melancholischen Einsicht Smileys, dass ohne diese Schuld sozusagen kein Staat zu machen ist, liegt der Kern und die Stärke der Karla-Trilogie.
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