Orlando ist ein Buch des Begehrens nach und getragen von Sprache. Getarnt als die Biographie eines Mannes, der nach gut 300 Jahren die 40 noch nicht erreicht und sich zwischenzeitlich in eine Frau verwandelt hat, treibt das Buch seinen funkensprühenden Spaß mit allen vermeintlich sicheren Gegebenheiten menschlichen Lebens und Liebens. Vom elisabethanischen England bis zum Moment der Niederschrift, dem 11. Oktober 1928, verfolgt ein vorgeblicher und launischer Biograph die Geschichte des/der noch weitaus launischeren Orlando, die gleichzeitig immer auch die Geschichte der gesellschaftlichen Moden der Konventionen und Konfektionen sowie der Dichtkunst, ihrer Protagonisten, Kritiker und Aspiranten ist. Das Lieben und Leiden Orlandos speist sich dabei vor allem aus der Verzweiflung darüber, dass Leben und Literatur entgegen der allgemeinen Meinung nicht in einem Abbildverhältnis stehen. Denn wenn die Schwierigkeit der Bestimmung von sexueller Identität – wie von Sexualität und Identität überhaupt – darin liegt, dass sie sich an nichts »da draußen« bemessen kann, so gilt dies ebenso und fast noch fundamentaler auch für Sprache. Dass also der junge Orlando im elisabethanischen England ein Gedicht zu schreiben beginnt, an dem er die folgenden Jahrhunderte mehr oder minder erfolglos weiter arbeiten wird, ist so ein Fingerzeig auf das Thema, das recht eigentlich in diesem Werk verhandelt wird: die Notwendigkeit und darin die Möglichkeit, Dinge, Wort und Bedeutung getrennt zu denken.
So geht es in der Geschichte des Mannes, der zur Frau wird, gerade nicht um den Versuch, in ein Jenseits der sexuellen Identitäten (oder der literarischen Gattungen) zu gelangen, sondern um das Wagnis, Unvereinbares im Verein darzustellen. Dabei wird Androgynität zur Metapher: nicht psychosexuelle Kategorie, sondern textuelle Strategie, die erlaubt, Widersprüchliches nebeneinander bestehen zu lassen. Den großen Ernst, der darin liegt, Ambivalenz derart auszuhalten, kann vielleicht nur das wilde Spiel erreichen. |