





polar #13: Aufstand
EDITORIAL
AUSGEBLIEBEN
AUSGELÖST
Tasos Telloglou Die Gerechtigkeitslücke Revolte gegen das Ende eines geliehenen Lebens
| Stephan Rosiny Eiszeit der Diktaturen Der Aufstand im »Arabischen Frühling«
| Hany Darwish Der Verrat Ägypten nach der Revolution: Ein Bericht aus Kairo
| Naji al-Baghuri Am Rande des Abgrunds Der Wandel Tunesiens: Ein Bericht aus Tunis
| Michael Lidauer Revolution von oben? Myanmar auf Reformkurs
| Felix Lutz Zwischen Tea Party und Occupy Der aufbruchslose Aufstand in den USA
| Eddie Hartmann Moralische Auszeit und soziale Revolte Die gewaltsamen Aufstände in Frankreich und Großbritannien
| Maja Bächler Take the Power Back Aufstände als Kommunikation
| Kai van Eikels Der angekommene Aufstand Etwas zur politischen Bewegung, etwas zur Theorie
| Markus Dressel »Lasst uns auch lernen zu regieren« Der 4. November ’89 und die List der Geschichte
| Susann Neuenfeldt/Simon Strick Hallo Rom/Hallo Karthago: >Keiner liegt allein<
| Marie Schmidt Mein Halbes Jahr: >Literatur< Shakespeare – Malabou – Thoreau
| Christoph Raiser Mein halbes Jahr: >Musik< Le Tigre – Codeine – Deichkind
| Matthias Dell Mein halbes Jahr: >Film< Die Tribute von Panem – The Hunger Games – Wir kaufen einen Zoo
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Anna-Catharina GebbersDie Revolution sind wirVon ein paar Kunstwerken, die Aufstände auslösten | Dass zu viel aufständisches Wollen auch frustrieren kann, erlebten um 1800 Goethe und Schiller: Von den behäbigen Weimarer Bürgern entnervt gaben sie ihr Projekt »Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet« auf und wendeten sich fortan der ästhetischen Erziehung des Menschen zu. Aber auch diese kann radikale Formen annehmen. Statt auf die sittlichen Einstellungen der Besucher intellektuell, moralisch und emotional einzuwirken, provozierte Victor Hugo am 25. Februar 1830 in Paris mit seinem Stück Hernani eine spektakuläre Theaterschlacht um die Ästhetik: Im Publikum prügelten sich die Anhänger der klassischen Regeldoktrin mit den Unterstützern einer modernen Form.
Nur wenige Monate später, am 25. August 1830 war auch in Brüssel ein Theater Schauplatz handfester Auseinandersetzungen: Als zu Ehren des Geburtstages von König Wilhelm I. der Niederlande Daniel-François-Esprit Aubers Oper La Muette de Portici aufgeführt wurde, verstand das Publikum eine Libretto-Passage gründlich miss. Angetrieben durch die Zeilen »Laufet zur Rache! Die Waffen, das Feuer! Auf dass unsere Wachsamkeit unserem Leid ein Ende bereite!« standen die Zuschauer auf und riefen »Zu den Waffen! Zu den Waffen!«. Diesmal wurden durch die darstellende Kunst Unruhen ausgelöst, die zur belgischen Revolution und der Unabhängigkeit Belgiens von den ungeliebten Niederländern führte.
Wiederauferstehung? Untote? Der Wort »Revolution« ist ein Kompositum aus der lateinischen Vokabel »volvere« (wälzen, rollen, drehen) und dem Präfix »re-«. Begriffsgeschichtlich verweist der Begriff ganz konkret auf das »Zurückwälzen« des Steines vom Grabe Christi. Eine Gruft öffnen? Wiederauferstehung? Untote? Das Unverdaute der Geschichte kommt wieder hoch? Nicht schön, aber manchmal notwendig. Denn durch Aufstände kommt dasjenige wieder auf den Verhandlungstisch, was zumindest ein Teil der Bürger nicht einfach herunterschlucken will. 1970 wollten Theaterbesucher in Berlin schon von vornherein weder von den Utopien der Gruppe Living Theatre einverleibt werden, noch deren Ideen fressen. Das Living Theatre wollte die in den Menschen verschütteten Formen rituellen Spiels wieder beleben. Ihr Stück Paradise Now forderte mit Slogans wie »Frei sein heißt [...] Revolutionär sein« einerseits zur Freikörperkultur und andererseits zur Errichtung einer permanenten, gewaltfreien Revolution auf. Aus dem Publikum der 6.000 überwiegend jüngeren Berliner schallte ihnen jedoch entgegen: »Das Living ist tot, geht nach Hause Leute, ihr wollt doch keine Leichen schänden«. Mit diesem Zuschaueraufstand wurde das Living Theatre von der Bühne vertrieben. Dabei wollte die Truppe um den Maler Julian Beck und die Schauspielerin Judith Malina nur die in Kunst, Literatur, Musik, Kommunikationsformen, Sitten und Bräuchen eingetretenen Veränderungen vorleben, die Herbert Marcuse unter dem Begriff »Kulturrevolution« zusammenfasste. Die Ablehnung illustrierte Marcuses Feststellung, dass die gesellschaftliche Struktur und ihre politischen Ausdrucksformen wohl noch nicht so weit seien. [...]
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GEPROBT
SCHÖNHEITEN
Kristin Amme/Silvan Pollozek Hörbare Revolution Jeder darf mitspielen: Das Kunstprojekt #tweetscapes
| Christoph Raiser Der Protest der Mathematiker Gegen eine öffentliche Praxis des privaten Profits: Das Manifest The Cost of Knowledge
| Luisa Banki Immer weiter Operationen am offenen Leben: Philipp Schönthalers Erzählband Nach oben ist das Leben offen
| Thomas Biebricher Müdes Blinzeln Eine scharfsinnige Diagnose vom Mittelmaß: José Ortega y Gassets Der Aufstand der Massen
| Anna-Catharina Gebbers Nicht eins sein Zwei Generationen Protest: Alex Martinis Roe untersucht Genealogien
| Franziska Humphreys Wählt Nein Referendum 1988: Pablo Larraíns No
| Daniel Mützel Occupy ist nicht Die Kunst, mehrere Dinge auf einmal zu sehen: Das Occupy Biennale Projekt
| Anna Sailer Unter einem Banner? Gegen die Geschlossenheit des Wir: Slatan Dudows Kuhle Wampe
| Arnd Pollmann Bloß keinen Aufstand In der Arena der Unmündigkeit: Kant meets Kubrick
| Julia Roth Ausblendung Dekolonisierung und die Dialektik: Susan Buck-Morss Hegel und Haiti
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