





polar #10: Endlich
EDITORIAL
UNBEGREIFLICH
UNENDLICH
UNHEIMLICH
SCHÖNHEITEN
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| Lars-Olav Beier Trommelfeuer Tod im Kino: Das Ende von Bonnie und Clyde
| Michael Eggers Papi aus Fiberglas Echt, aber irgendwie falsch: Ron Muecks Dead Dad
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Thomas BiebricherLiebestodUnbewusst, höchste Lust: Richard Wagners Tristan und Isolde | Man stelle sich Folgendes vor: Arbeitgeber und Onkel, in dessen Auftrag man den Mann einer Frau unter eigener Verwundung ermordet hat, um sich dann unter falschem Namen von jener gesund pflegen und das Leben retten zu lassen, möchte nun selbige Frau ehelichen und sendet einen, um sie dem Onkel zuzuführen. Man erkennt sich auf dem gemeinsamen Weg, hasst sich und entbrennt dann doch in leidenschaftlichem Verlangen füreinander, das zu nächtlichen Stelldicheins, der Entdeckung durch den Onkel und tödlicher Verwundung durch einen Rivalen führt. Die Frau hört vom Schicksal des Geliebten, eilt zum Sterbenden um gemeinsam in musikalisch einzigartiger Umrahmung den Tod zu finden. Voilà: Wagners Tristan und Isolde.
Wagner war in jener Zeit auf gesellschaftlich anstößige Weise mit Mathilde Wesendonck liiert und so scheint es zunächst, als ob Wagner die eigene Unmoral im Tristan zu einer Geschichte über die Liebe idealisiert hätte: Tristan und Isolde als Menschen in der Revolte gegen eine Spießbürgermoral, in deren Griff die Liebe zum wechselseitig exklusiven Ehevertrag verdorrt. Doch der Liebestod ist nicht nur die Anklage der Gesellschaft. Vielmehr findet eine buddhistisch-schopenhauerianische Motivik musikalische Umsetzung, die in der Einsicht gipfelt, dass Liebe, so sie nicht durch unstillbares und weiter hastendes Begehren in Leid verwandelt werden soll, auf dem Versiegen allen Verlangens beruht. Es ist letztlich erst der musikalisch berauschend in Szene gesetzte Tod welcher vom Leiden der Individuation erlöst und Liebe im All-Eins-Sein ermöglicht, das Isolde mit ihren letzten Worten schon vor Augen zu haben scheint: »ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust«. Diese Verschränkung verleiht dem Tod als Ermöglichungsgrund der Liebe eine Ambiguität, deren musikalische Entsprechung sich in dem leitmotivisch verwendeten ›Tristan‹-Akkord findet. Denn dieser lässt sich harmonietheoretisch nicht eindeutig definieren und die Dissonanz hat in seinem Rahmen nicht nur die Strebewirkung auf ihre Auflösung hin eingebüßt, vielmehr erscheint die Dissonanz selbst als ihre eigene Auf-, ja, man ist versucht zu sagen, Erlösung. Als wollte Wagner mit dieser harmonischen Umwertung des scheinbar Widrigen in den eigentlich erstrebenswerten Ruhepunkt auf noch eher unchristliche Weise fragen: »Tod, wo ist Dein Stachel?«
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